Select An AI Action To Trigger Against This Article
Vater-Tochter-Interview (1/5)
Tochter Anja kritisiert Vater Andreas Glarner – Er: «Das wird jetzt sicher die Schlagzeile»
Die AZ interviewt in den Sommerferien Aargauer Persönlichkeiten und ihre Kinder – im ersten Teil: SVP-Aargau-Präsident Andreas Glarner (60) und seine Tochter Anja Bächler (25). Sie erzählen, wie sich früher auch mal gefetzt haben, bis beide weinten, was sie aneinander schätzen und: Wo die Tochter findet, dass ihr Vater politisch zu weit ging.

Seit gut einem Monat heisst sie nicht mehr Glarner: Anja Bächler (25), die jüngere Tochter von SVP-Aargau-Präsident und Nationalrat Andreas Glarner, hat am 3. Juni geheiratet. Der stolze Vater postete Fotos der Hochzeit auf Instagram, ein User kommentierte: «Sie ist sicher froh, den Namen zu wechseln.» Ein anderer schrieb, eher würde ihr Ehemann den Namen seiner Frau annehmen. Dieser erwiderte, das habe er zwar nicht getan, er würde den Namen Glarner aber mit Stolz tragen.
Vor und nach dem Post zur Hochzeit seiner Tochter finden sich auf Glarners Profil provokative Einträge gegen das sogenannte Stromfressergesetz, Häme gegen den feministischen Streik und scharfe Kritik an der Schweizer Asylpolitik. Der Instagram-Auftritt des SVP-Präsidenten zeigt das Spannungsfeld, in dem sich Glarner und seine Tochter bewegen. Die AZ hat die beiden in Oberwil-Lieli zu einem gemeinsamen und persönlichen Gespräch getroffen.
Frau Bächler, was für ein Vater ist Andreas Glarner?
Anja Bächler: Er ist ein toller und liebevoller Vater. Meine ältere Schwester und ich hatten eine glückliche und unbeschwerte Kindheit. Aber er war eher ein ängstlicher Vater, der uns beschützen wollte und zum Beispiel beim Skifahren immer mahnte, vorsichtig zu sein. Ich glaube, ich habe nie das Haus verlassen, ohne dass er sagte «hebed denn Sorg».
Wie hat er reagiert, wenn Sie mal zu lange im Ausgang waren oder sonst über die Stränge geschlagen haben?
Da war er sehr cool, das hat sich zum Beispiel an meinem 18. Geburtstag gezeigt, als ich zu Hause eine grosse Party machte. Da ging es ziemlich hoch her und am nächsten Morgen hätte ich bis zu einem gewissen Zeitpunkt aufräumen sollen. Ich merkte rasch, dass ich das nicht alleine schaffen würde, habe dann meinen Vater angerufen – er kam sofort und half mir. Er hat mich auch oft nachts oder am frühen Morgen abgeholt, wenn ich im Ausgang war, damit ich sicher nach Hause kam.
Wie haben Sie die Erziehung erlebt, ist Andreas Glarner streng?
Ja, er war streng, das war bei mir aber manchmal auch nötig (lacht). Es gab schon Momente, da wusste ich: Jetzt sage ich besser nichts mehr und gehe in mein Zimmer. Er hatte einen gewissen Anspruch an unsere schulischen Leistungen, er verlangte Anstand und einen respektvollen Umgang mit anderen Leuten. Ich halte selber nicht viel von einer antiautoritären Erziehung und finde es wichtig, dass die Eltern ihren Kindern eine Linie vorgeben. Heute bin ich sehr dankbar, dass mein Vater das bei mir getan hat.
Also ist Ihr Vater ein Vorbild für Sie, wenn Sie selber einmal Kinder haben und diese erziehen müssen?
Ja, ich möchte Kinder haben und mein Vater ist definitiv ein Vorbild, wenn es um die Erziehung geht. Es ist nicht einfach, die richtige Mischung zu finden: Einerseits sollte ein Vater seinen Kindern Liebe schenken, andererseits auch Autoritätsperson sein. Das war bei mir sicher nicht einfach, ich hatte immer meinen eigenen Kopf und machte oft das Gegenteil von dem, was meine Eltern mir sagten.
Herr Glarner, was für ein Kind war Ihre Tochter Anja?
Andreas Glarner: Wir haben uns ab und zu gefetzt, zum Teil richtig gestritten. Ich erinnere mich an einen Sonntag, als wir nach kurzer Zeit schon Streit hatten, ins Wohnzimmer gingen und dort lange und grundsätzlich miteinander sprachen. Am Ende haben beide geweint, aber es war ein sehr gutes Gespräch und wir fanden einen gemeinsamen Punkt.
Über was haben Sie sich gestritten?
Bächler: Eigentlich über nichts, aber ich fand es damals als Jugendliche nicht gerade toll, dass mein Vater so streng war.
Glarner: Ich war gar nicht so streng.
Bächler: Doch, den Eindruck hatte ich schon, aber ich habe oft auch einfach nicht zugehört und nicht gehorcht.
Glarner: Kürzlich sagte ich scherzhaft zu einem Kollegen, wenn ich die Zeit mit Anja überstanden habe, kann mich nichts mehr erschrecken. Aber ernsthaft: Es war wohl das normale Verhältnis, das Eltern mit ihren Kindern haben, wenn sie in die Pubertät kommen.
War Politik am Familientisch im Haus Glarner ein Thema?
Bächler: Politik war ein Thema, vor allem ging es aber darum, was in Oberwil-Lieli läuft, wo mein Vater im Gemeinderat und Gemeindeammann war. Aber in erster Linie wurde über die Firma gesprochen, die er und meine Mutter gemeinsam führten. Wir Kinder erzählten viel von der Schule oder von unseren Freizeitaktivitäten.
Glarner: Ich erzählte oft auch Geschichten und Anekdoten, die ich erlebte, als ich an der Gewerbeschule unterrichtete.
Frau Bächler, sind Sie selber politisch aktiv oder in einer Partei?
Ich interessiere mich für die Politik und habe meine Meinung zu vielen Themen, aber selber aktiv bin ich derzeit nicht. Aus meiner Sicht würde sich das beissen mit meinem Beruf als Leiterin Finanzen auf der Gemeindeverwaltung in Arni. Ich möchte mich auch nicht zu stark exponieren, als Gemeindeangestellte möchte ich eine neutrale Haltung einnehmen.
Mein Mann als selbstständiger Unternehmer hat da eine andere Position, er kann sich äussern, wie er möchte (Jeremias Bächler kandidierte 2020 für die SVP für den Grossen Rat, die Redaktion).
Könnten Sie sich vorstellen, später in die Politik einzusteigen?
Bächler: Auf kommunaler Ebene durchaus, mich im Gemeinderat zu engagieren, könnte ich mir gut vorstellen. Ich würde aber nicht für den Grossen Rat oder den Nationalrat kandidieren, weil ich glaube, dass die Einflussmöglichkeiten dort viel beschränkter sind. Ich habe das Gefühl, dass mein Vater im Gemeinderat in Oberwil-Lieli viel mehr bewegt hat als später in Aarau oder jetzt in Bern.
Glarner: Da hat meine Tochter recht, in der Gemeinde ist der Spielraum zum Gestalten am grössten. Das ist die Position – verbunden mit jener als Fraktionschef der SVP im Grossen Rat – in der ich am meisten bewirken konnte.
Herr Glarner, sind Sie überrascht, dass sich Ihre Tochter ein Amt als Gemeinderätin vorstellen kann?
Es überrascht mich, dass Sie das heute so offen sagt, aber ich hatte immer den Eindruck, dass Anja eine Politikerin werden könnte. Ich habe aber nie versucht, meine Kinder zum Einstieg in die Politik zu bringen. Und ich denke auch, dass sie vielleicht eher abgeschreckt als ermuntert wurden.
Warum abgeschreckt?
Glarner: Wenn meine beiden Töchter mit dem Bus in die Schule fuhren, und dort auf dem Bildschirm eine Schlagzeile über Andreas Glarner erschien, war das wohl nicht angenehm. Das mussten sie erdulden und das war sicher nicht immer einfach.
Bächler: Ich hatte nie das Gefühl, dass mein Vater uns politisch beeinflussen oder auf die rechte Seite ziehen wollte. Natürlich hört man seine Meinung und seine Positionen, aber ich hatte nie den Eindruck, dass er uns in eine bestimmte Richtung lenken wollte. Er hat mich zum Beispiel nie gefragt, ob ich der SVP beitreten möchte.
Glarner: Ich hätte wohl eher das Gegenteil erreicht, wenn ich versucht hätte, Anja in Richtung der SVP zu bewegen (lacht). Im Übrigen war mein Grossvater ja SP-Stadtrat in Bremgarten …
Bächler: Vielleicht müsste ich in diese Richtung aktiv werden?
Glarner: Da hätte ich kein Problem, wenn du die SP wieder auf den Kurs bringst, den sie früher einmal hatte.
Herr Glarner, würden Sie Ihre Tochter als Politikerin sehen?
Glarner: Ja, durchaus, sie ist sehr lösungsorientiert, stört sich an Missständen und will etwas dagegen tun. Und auch die Grundeinstellung, nicht nur zu konsumieren, sondern auch etwas zurückzugeben, passt zu einer Politikerin.
Bächler: Wie gesagt, später könnte das ein Thema sein, aber momentan noch nicht. Ich habe schon den Drang und das Bedürfnis, gewisse Probleme anzugehen und zu lösen, aber eigentlich möchte ich nur ein möglichst einfaches, glückliches Leben führen. Und wenn ich sehe, wie stark und wie oft sich mein Vater über die Politik aufregt, dann ist mir das ein bisschen zu viel.
Andreas Glarner ist ein Politiker, der gern provoziert, der auch grenzwertige Kampagnen führt – wie haben Sie das als Jugendliche erlebt?
Bächler: Ich musste mir schon einige kritische Sprüche anhören, aber zumeist kamen die von Leuten, die ich nicht persönlich kannte. Deshalb konnte ich immer darüber stehen und mich abgrenzen, weil mir klar war, dass diese Personen weder mich noch meinen Vater richtig kannten.
Wie haben Sie auf die Sprüche reagiert, haben Sie Ihren Vater verteidigt?
Bächler: Nein, ich habe einfach nicht darauf reagiert und mich nicht geäussert, so konnte ich Distanz halten und mich abgrenzen. Speziell war es im Ausgang, wenn mich ein Mann angesprochen hat und sagte: «Du bist doch die Tochter von Glarner.» Für mich war das dann immer schon erledigt, auch wenn es ein hübscher Mann gewesen wäre (lacht). Es gibt positive und negative Kommentare, aber mir ist es am liebsten, wenn ich auftreten kann, ohne dass die Leute wissen, dass ich die Tochter von Andreas Glarner bin.
Herr Glarner, Sie sagten in einem Interview, der Wahlkampf höre für Sie auf, wenn Ihre Kinder darunter leiden würden. Waren Sie jemals an diesem Punkt?
Glarner: Nein, so weit ist es zum Glück nie gekommen.
Frau Bächler, gab es auch Situationen, in denen Sie Ihrem Vater sagten: «Jetzt bist Du zu weit gegangen?»
Bächler: Ja, absolut, das gab es mehrfach, das war aber auch kein Problem. Bei uns in der Familie durften immer alle ihre Meinung offen und ehrlich äussern. Das möchte mein Vater so, und es gab Aktionen, die ich schlecht fand und die zu Diskussionen führten.
Können Sie ein Beispiel geben?
Bächler: Ich habe Mühe mit persönlichen Angriffen, wie zum Beispiel bei der Geschichte mit der jungen Lehrerin in Zürich. (Vor vier Jahren hatte Glarner die Handynummer einer Zürcher Lehrerin auf Facebook veröffentlicht, weil sie muslimischen Schülern freigegeben hatte, die Redaktion.) Das fand ich völlig daneben …
Glarner: Es war ein Schulhandy …
Bächler: Nein, das war eine Privatperson, die nicht in der Öffentlichkeit stehen und sich nicht politisch engagieren wollte. Dass man diese Frau so ins Rampenlicht stellt, finde ich überhaupt nicht in Ordnung. Wenn man auf eine Person zielt, die selber nicht in der Politik ist, finde ich das nicht okay.
Glarner: Das wird jetzt sicher die Schlagzeile des Interviews.
Bächler: Ja, dann ist das eben so.
Andreas Glarner bringt gerne Sprüche wie «es heisst Wahlkampf, nicht Wahlstreicheln» oder andere – finden Sie das gut oder eher nicht mehr zeitgemäss?
Bächler: Ich finde die Sprüche durchaus amüsant, aber nicht immer passend. Und es kommt vor, dass er über die Stränge schlägt, dann sage ich ihm das auch. Er macht auch privat gern Sprüche, aber das ist bei mir nicht anders, das habe ich wohl geerbt. Und klar: Er teilt gern aus, dann muss er auch einstecken können.
Wenn es ums Austeilen und Einstecken geht, hat sich die Situation mit den sozialen Medien verschärft. Wo sehen Sie hier die Grenzen?
Bächler: Eine harte Auseinandersetzung finde ich okay, aber einen gewissen Anstand sollten alle wahren. Was zum Teil auf Social Media gepostet wird, ist unterste Schublade. Es sind oft anonyme User oder Leute, die meinen Vater nicht kennen. Ich bin überzeugt, wenn sie ihn kennen würden, dann würden sie ihn auch anders einschätzen. Auch in den Medien wird mein Vater oft als böser Politiker dargestellt und als Mensch völlig ausgeklammert.
Das gehört aber auch zu Ihrem Auftritt, zu Ihrer Inszenierung als Hardliner, Herr Glarner?
Glarner: Bis zu einem gewissen Grad stimmt das, aber es gibt auch den Menschen Glarner. Und wenn Oberwil-Lieli – meines Wissens als einzige Gemeinde im Aargau – ausländische Einwohner an die Gemeindeversammlung einlädt, dann kommt das in keiner Zeitung. Das würde dem gängigen Bild widersprechen, deshalb bringen es die Medien nicht. Ich trage sicher selber zu meinem Hardliner-Image bei, weil ich Klartext rede.
Nehmen Sie den Fall Stäfa, dort wurde einfach ich als Überbringer der schlechten Botschaft kaputt gemacht. (Glarner publizierte die Einladung zu einem Gendertag der Schule auf Twitter, darauf stand auch die Telefonnummer der Schulsozialarbeiterin – es gab Drohungen, der Anlass wurde abgesagt, die Redaktion).
Bächler: Auch in diesem Fall hättest Du den Namen nicht veröffentlichen sollen.
Glarner: Aber die Nummer stand auf der Einladung und mit wenigen Klicks hätte man sie auch sonst gefunden.
Bächler: Aber das machen die Leute nicht, Du hättest den Namen und die Nummer abschneiden können. Du hast gewusst, was Du damit auslöst, wenn du das verbreitest.
Herr Glarner, fragen Sie Ihre Tochter auch mal um Rat, zum Beispiel wenn es um die Sorgen der jüngeren Generation geht?
Glarner: Da muss ich gar nicht fragen, das kommt von alleine, wenn man zuhört. Ich habe in meiner Firma auch einen sehr jungen Mitarbeiter im Büro, das hilft mir, à jour zu bleiben.
Frau Bächler, sind Sie eigentlich stolz auf Ihren Vater?
Bächler: Ja, sehr sogar, aber das hat weniger mit der Politik zu tun, sondern mehr mit ihm als Person. Er ist ein sehr grosszügiger Mensch und hat uns dies auch vorgelebt. Immer wieder sagte er: «Wenn es einem selber gut geht, muss man schauen, dass es den anderen Menschen auch gut geht.» Was er politisch erreicht hat, ist auch respektabel, aber für mich steht der Mensch an erster Stelle. Was mich beeindruckt: Dass er für seine Meinung einsteht und dafür kämpft, das braucht viel Mut.
Zur Person
Bild: Alex Spichale
Anja Bächler
Anja Bächler ist die jüngere Tochter von SVP-Aargau-Präsident und Nationalrat Andreas Glarner. Beruflich ist sie als Leiterin Finanzen auf der Gemeindeverwaltung Arni tätig. Die 25-jährige ist seit dem 3. Juni dieses Jahres verheiratet mit Jeremias Bächler, der in Bünzen ein Baugeschäft betreibt.