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Den Sport zeichnet oft eine besondere Nähe zwischen Betreuern und Schutzbefohlenen aus. Bisweilen verschwimmen die Grenzen. Jörg Großmann
Im November 2023 verlieh die Bremer Sportjugend, die zum Landessportbund Bremen (LSB) gehört, erstmals das Kinderschutz-Siegel an einen Verein. Das Siegel, eingeführt im April 2022, war bislang lediglich an den Judoverband verliehen worden. Nun wurde der TuS Komet Arsten ausgezeichnet. "Für seine herausragende Arbeit im Bereich der Prävention vor sexualisierter Gewalt“, wie auf der LSB-Webseite nachzulesen ist. Um den in Obervieland beheimateten Verein auch in diesem sensiblen Thema gut aufzustellen, habe auch der hauptamtliche Geschäftsführer aktiv mitgewirkt. So bestätigen es der Komet-Vorsitzende Andreas Vroom und der zweite Vorsitzende, der Kinderarzt Bernward Fröhlingsdorf.
Auf Nachfrage des WESER-KURIER muss Vroom jedoch mitteilen: Ein Jahr nach der Siegel-Verleihung hat sich der Verein von seinem Geschäftsführer getrennt. Auch als Trainer ist er nicht mehr beschäftigt. "Wir haben als Vorstand den Verdacht des Missbrauchs einer minderjährigen Schutzbefohlenen angezeigt“, sagt Vroom. Mittlerweile ist das Verfahren bei der Bremer Staatsanwaltschaft angekommen, wie eine Sprecherin bestätigt. Es bestehe keine Haftpflicht, die Ermittlungen würden laufen und unter dem Titel "sexueller Missbrauch Schutzbefohlener" geführt. Es gilt bis auf Weiteres die Unschuldsvermutung. Nach Informationen des WESER-KURIER geht es im Kern um die Beziehung zwischen dem 58-Jährigen und einer 17-Jährigen Leichtathletin aus seiner Trainingsgruppe. Aus der Trainingsgruppe heraus seien auch die Hinweise gekommen, die den Verein zum umgehenden Handeln veranlasst hätten, sagt Bernward Fröhlingsdorf.
Dass der TuS Komet Arsten einen leitenden Angestellten wegen Missbrauchs einer Minderjährigen verdächtigt, der selbst am Schutz vor Missbrauch Minderjähriger mitgearbeitet hat, ist nicht die einzige Besonderheit an dem Fall. Er hat eine Vorgeschichte, aus Sicht des Vereins in gewisser Weise eine doppelte. 2019 hatte die Staatsanwaltschaft gegen einen Fußballtrainer von Komet Arsten ermittelt. Eltern hatten Strafanzeige wegen Missbrauchs gestellt, der Verein hatte den Trainer umgehend freigestellt. In der Folge beging er Suizid.
Der aktuell beschuldigte Geschäftsführer und Leichtathletik-Trainer war vor rund 15 Jahren schon einmal ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten. Auch damals soll es im Kern um die Beziehung zu einer Minderjährigen gegangen sein. Die Behörde hatte den Sportlehrer vom Schuldienst suspendiert. Er gab seinen Beamtenstatus auf – und legte auch sein Amt als Vizepräsident Leistungssport im Bremer Leichtathletik-Verband nieder. In der Leichtathletik-Szene hatte er sich in den Jahren zuvor einen Namen gemacht, als 2008 zwei von ihm betreute Sprinterinnen sich für die Olympischen Spiele in Peking qualifizieren konnten und 2009 auch bei der Heim-WM in Berlin starteten.
Das Verfahren der Staatsanwaltschaft war schließlich eingestellt worden. 2012 hatte der damals 45-jährige Trainer das Angebot des TuS Komet Arsten angenommen – und wurde Geschäftsführer des Vereins. "Wir haben ihn jahrelang nach 2012 nicht mit jungen Frauen oder Mädchen unbeaufsichtigt arbeiten lassen, es gab keinerlei Vorfälle", sagt Vereinschef Andreas Vroom. Es habe auch keine gegeben, als der engagierte Leichtathletik-Fachmann sich wieder mehr in seinem Fachbereich engagierte. Er legte sich ins Zeug, um regelmäßig deutsche Jugendmeisterschaften nach Obervieland zu holen – und übernahm wieder Trainingsgruppen. Fröhlingsdorf: "Er hatte sich aus unserer Sicht sozusagen nach Jahren zunächst rehabilitiert, wobei alle sensibel geblieben sind." In der Fehleranalyse habe man keine direkte Schuld oder ein Versagen des Vereins benennen können. Eine hundertprozentige Überwachung sei in einem vorwiegend ehrenamtlich organisierten Sportverein nicht möglich und würde "die Leichtigkeit des Sports letztendlich zerstören". Der eingebaute Schutzmechanismus habe sich dennoch bewährt. „Die potenziellen Opfer brauchen Vertrauenspersonen, die noch dichter an den minderjährigen Sportlerinnen und Sportlern dran sind, um Signale so früh wie möglich aufzunehmen", sagt der Kinderarzt.
Ähnlich argumentiert LSB-Chefin Eva Quante-Brandt. Allen Schulungen, Zertifizierungen, Werbekampagnen zum Trotz, die die Dachorganisation des Bremer Sports anbietet, bleibe quasi ein Restrisiko. Er entstehe aus dem Wesen des Sports: der besonderen, oft auch körperlichen Nähe zwischen Trainern und Athleten. "Und die Nähe schafft Emotionen", sagt sie. Je transparenter ein Verein oder Verband mit dem Thema nach innen wie nach außen umgehe, desto größer sei der Schutz vor Übergriffen und Missbrauch. Der Landessportbund sei im November des vergangenen Jahres vom TuS Komet Arsten darüber informiert worden, dass man Anzeige erstattet habe und sich von dem Geschäftsführer und Trainer getrennt habe.
Der Trainer selbst sagt, er könne zu den laufenden Ermittlungen nichts sagen, es handele sich um ein schwebendes Verfahren. Dass es offenbar erneut um die Beziehung zu einem minderjährigen Mädchen geht, bestreitet er dabei nicht. Seit Oktober 2024 sei er krankgeschrieben, wegen einer Erschöpfungsdepression. Die Betreuung eines Kugelstoßers während der Paralympischen Spiele in Paris sei extrem anstrengend gewesen. Er befinde sich deswegen in Therapie. Im Dezember habe er einen Herzanfall gehabt. Er wolle künftig nicht mehr als Trainer arbeiten, ihm liege ein Angebot im Metier Sport vor, welches keine Trainertätigkeit beinhalte. Und dann strebe er auch eine analytische Therapie an. "Um zu schauen, was mit mir los ist", sagt er.
Info
Krisentelefone und Anlaufstellen
Vom Kinder- und Jugendtelefon Nummer gegen Kummer (116 111) über die Deutsche Depressionshilfe (0800 / 33 44 533) und das Kompetenznetz Einsamkeit (KNE) gibt es Hilfeangebote. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hält auf seiner Internetseite im Familienportal eine Vielzahl von Kontakten bereit.