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Erst nach Wochen gab der Chiemsee seine Opfer frei: Yacht steuerte 1985 in den Sturm

Stand: 11.05.2025, 17:10 Uhr

Von: Heinz Seutter

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„Unser Bild zeigt die Bergung eines der drei ertrunkenen Segler“, lautet die Bildunterschrift dieses Fotos in der Ausgabe des Oberbayerischen Volksblatts (OVB) vom 29. April 1985 zum Artikel mit der Überschrift „Chiemsee gab seine Opfer frei“. © OVB Media Grafik / Berger - Repro: Stadtarchiv Rosenheim

Im April 1985 ereignete sich eine Tragödie auf dem Chiemsee: Ein Segellehrer aus Nürnberg brach mit drei Schülern trotz Sturmwarnung zu einem Segeltörn auf. Die Yacht verschwand zunächst spurlos. Über Wochen hinaus wurde gesucht, bis der See seine Opfer und das Wrack freigab. Wir zeichnen die Geschehnisse anhand damaliger Berichte aus dem Zeitungsarchiv nach.

Prien am Chiemsee – „Im Gewittersturm verschollen: Vier Segler im Chiemsee ertrunken?“, meldete das Oberbayerische Volksblatt (OVB) am 10. April 1985. „Das schwere Unwetter, das am Abend des Karsamstag mit Platzregen und Sturmböen über den Chiemgau hinwegzog, hat möglicherweise vier Menschenleben gefordert“, heißt es in jenem Artikel. „Wie erst am gestrigen Dienstag gegen Mittag bekannt wurde, fehlt seit vergangenem Samstag von vier Freizeitseglern, einem Sportlehrer und drei Jugendlichen aus Nürnberg, jegliche Spur. Das Quartett war von einer mehrtägigen Segelpartie auf dem Chiemsee nicht nach Hause zurückgekehrt.“ Die Frau des Sportlehrers habe bei Pächter eines Campingplatzes nach dem Verbleib ihres Ehemanns angefragt. Der Pächter habe das Fahrzeug des Vermissten verlassen vorgefunden, von dessen Bojenplatz sei nur ein Beiboot festgemacht gewesen. Er habe daher die Polizei verständigt.

„Taucher haben den ersten der ertrunkenen Jugendlichen auf dem Boot der Wasserschutzpolizei aufgebahrt“, lautet die Bildunterschrift dieses Fotos in der Ausgabe des Oberbayerischen Volksblatts (OVB) vom 12. April 1985. © Berger / Repro: Stadtarchiv Rosenheim

„Ich kenne den Sportlehrer. Er hat letztes Jahr bei mir die Ferien verbracht. Zuletzt habe ich ihn und seine Besatzung am Samstag, nachmittags, in einem Segelboot gesehen, das an einem Privatsteg neben dem Campingplatz festgemacht hatte. Ich sprach mit dem Mann. Über seine weiteren Segelpläne für das Osterwochenende sagte er mir jedoch nichts“, wird der Pächter zitiert. Das Letzte, was man vor Ort von dem Lehrer und seinen Schützlingen gehört habe, sei gewesen, dass sie zu einem mehrtägigen Segeltörn aufgebrochen waren, dies trotz der ausgelösten Sturmwarnung. Es werde das Schlimmste befürchtet. „Die am gestrigen Mittag sofort eingeleitete Suchaktion durch Polizeischiff, Wasserwacht und Feuerwehrboote sowie durch einen Rettungshubschrauber der Polizei, verlief bis Redaktionsschluss ergebnislos. Von dem Schiff und seiner Besatzung fehlt jede Spur.“

Blick ins OVB-Zeitungsarchiv auf Tragödie - Erst nach Wochen gab der Chiemsee seine Opfer frei: Yacht steuerte 1985 in den Sturm

„Die vier seit Karsamstag vermissten Freizeitsegler sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alle in den sturmgepeitschten Wellen des Chiemsees ertrunken. Zu dieser Ansicht kam gestern die Priener Polizei, nachdem die Leiche des 17-jährigen Andreas P., einer der vier Nürnberger, geborgen werden konnte“, musste die Zeitung dann zwei Tage später, am Freitag, den 12. April vermelden. Die Besatzung eines Rettungshubschraubers der Polizei habe gegen Mittag einen Schatten unter der Wasseroberfläche entdeckt, genau an einer Stelle, die zuvor von einem Augenzeugen angegeben worden war. „Taucher der Münchner Bereitschaftspolizei wurden zu dem Unglücksort delegiert und fanden etwa zwei Meter unter dem Wasserspiegel — rund sechs Meter über Grund — eine treibende Leiche.“ Dabei habe es sich um den 17-Jährigen gehandelt.

Fotos: Segel-Unglück auf dem Chiemsee mit vier Toten 1985Fotostrecke ansehen

„Wie eine Rekonstruktion des Unglücks und die Koordinierung mehrerer Augenzeugenberichte mittlerweile ergeben hat, muss das Segelschiff vom Typ ‚Hai‘ innerhalb weniger Minuten ein Opfer des Orkans geworden sein“, so der Bericht weiter. Denn nur wenige Minuten, nachdem ein Augenzeuge die Yacht zuletzt gesehen habe, sei das Einsatzschiff der Priener Feuerwehr am Unglücksort eingetroffen. Dort habe gute Sicht geherrscht, aber es sei keine Spur von der Besatzung oder dem Schiff zu sehen gewesen. Es sei außerdem bekannt geworden, dass der Sportlehrer schon zuvor durch zwei Havarien aufgefallen sei und für Draufgängertum bekannt war. Sein Verhalten an jenem Tag sei „um so unverständlicher, als er in seinem heimischen Verein 1846 Nürnberg die Segelabteilung leitete und sogar in der Bundesvorstandschaft der Sunflower-Vereinigung vertreten war, also als Segelfachmann gelten musste.“

Suchaktion zunächst eingestellt

„Die große Suchaktion nach den drei weiteren Vermissten des Segelboot-Unglücks am Chiemsee wurde am Freitag eingestellt“, musste dann am Samstag, dem 13. April mitgeteilt werden. „Wie von Polizei und Wasserwacht zu erfahren war, schien den Bergungsmannschaften angesichts der stürmischen Windverhältnisse und der fortschreitenden Eintrübung des Wassers ein Abbruch sinnvoll. Hinzu kommt, dass für Polizei und Staatsanwaltschaft nach der Bergung des 17-jährigen Andreas P. am Donnerstag, an dem Untergang der Segelyacht und dem Tod der ganzen vierköpfigen Besatzung kein Zweifel mehr besteht.“

Alle Blicke ins Zeitungsarchiv auf der Themenseite:Alle bisher erschienen Artikel aus der jeden Samstag um 15 Uhr erscheinenden Reihe „In alten Zeitungsbänden gestöbert“, aber auch diverse zusätzliche Artikel über spektakuläre Kriminalfälle, bekannte Persönlichkeiten der jüngeren Zeitgeschichte sowie andere bedeutende Ereignisse, nacherzählt an Hand von alten Zeitungsartikeln findet Ihr ab sofort auf dieser Themenseite.

Am Montag, den 22. April wurde dann gemeldet: „Gesunkenes Segelschiff gestern entdeckt“. Im Artikel heißt es: „Am gestrigen Sonntag verfingen sich gegen Mittag die Schleppleinen der Suchschiffe in einem Objekt unter Wasser. Als Taucher in die Tiefe gingen, erblickten sie in 16 Metern Tiefe das vermisste Segelboot vom Typ ‚Hai‘. Das Schiff stand unter voller Besegelung senkrecht auf Grund; die Schot des Sturmvorsegels war sogar noch belegt, was ein Indiz dafür ist, dass die Segeljacht in wenigen Minuten ein Opfer des Sturms wurde.“ Es konnte noch keiner der weiteren Segler gefunden werden, dafür ein Hund, der mit an Bord gewesen war und entweder angebunden wurde oder sich in Segelleinen verfing. Vom Fundort zum Ufer der Herreninsel seien es nur 300 Meter gewesen.

Bergung der Opfer nach mehreren Wochen

„Trotz Regens und Schneetreibens konnte die Priener Wasserwacht am Wochenende die Leichen der drei noch vermissten Segler bergen“, berichtet das OVB unter der Überschrift „Chiemsee gab seine Opfer frei“ schließlich eine Woche später, am Montag, den 29. April über das letzte Kapitel jener Tragödie. „Zwei Taucher der Priener Wasserwacht waren den ganzen Samstag über im Einsatz, um den 53-jährigen Nürnberger und die beiden 17 Jahre alten Mitsegler, die in dem Frühjahrssturm über Bord gegangen und ertrunken waren, mit Hilfe einer Spezialkamera zu suchen. In einer Tiefe zwischen 16 und 19 Metern fanden sie schließlich die drei Toten nicht weit voneinander entfernt in der Nähe des ebenfalls versunkenen Bootes, das am gestrigen Sonntag mithilfe einer Spezialwinde an die Oberfläche des Sees gehievt wurde.“

Das Boot habe ebenfalls geborgen werden müssen, da es ein Risiko für die Berufsfischerei auf dem See darstellte. Netze für den Fischfang könnten sich daran verfangen. „Wie erst jetzt bekannt geworden ist, hätte es bei dem Unglück um ein Haar noch zwei weitere Opfer gegeben. Zwei junge Mädchen können von Glück sagen, dass sie nicht — wie ursprünglich vorgesehen — auf dem Schiff waren, als das Boot unterging. Die beiden wollten nämlich auf der Fraueninsel, wo die Besatzung bis kurz vor der Abfahrt gefeiert hatte, zusteigen. Sie überlegten es sich anders und blieben an Land. Die drei toten Segler, die mit dem Boot der Wasserschutzpolizei Prien an Land gebracht wurden, sollen heute in ihre Heimat überführt werden.“

In einem weiteren Artikel, der demnächst erscheinen wird, haben wir uns bei der Wasserwacht erkundigt, wie gefahrenbewusst sich Wassersportler heute verhalten. (hs)

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