AfD in der Regierung: Fiktion oder denkbare Möglichkeit für die CDU von Friedrich Merz?

Die Alternative für Deutschland hat in einer Umfrage erstmals gleichgezogen mit der Union. Der Kanzlerkandidat ist deshalb unter Druck. Brächte eine Koalition mit Rechtsaussen mehr als mit der SPD? Ein Gedankenspiel.

Alice Weidel, Co-Vorsitzende der rechtsextremen AfD, und Friedrich Merz, Chef der CDU und Kanzler im Wartestand, sind politische Gegner. In Fragen der Asylpolitik liegen sie gleichwohl nahe beieinander.

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«Was die Ressorts betrifft, haben wir klare Vorstellungen», sagt Alice Weidel. «Ich erwarte, dass wir das Ministerium für Inneres und Heimat übernehmen. Es geht um die Sicherstellung unserer nationalen Identität und eine entschlossene Grenzpolitik.» Friedrich Merz hat damit kein Problem: «Das wird so kommen.» Zuvor war er mit der Führung der AfD vor die Presse getreten. «Heute beginnt für unser Land ein neuer Abschnitt. Nach intensiven Gesprächen, die in den letzten Wochen geführt wurden, haben wir ein historisches Regierungsbündnis geschlossen. Wir treten an, um Deutschland stark und regierungsfähig zu machen.»

Die CDU in einer Regierung mit der Rechtspartei Alternative für Deutschland? Es ist ein fiktives Szenario. Chat-GPT, der mit künstlicher Intelligenz arbeitende Chatbot, schreibt auf Anweisung auch ein Drehbuch über die Bildung einer Koalition zwischen Christlichdemokraten und Rechtsextremen mitsamt den Dialogen. In Sekundenschnelle und ohne Hemmungen. Alles fake.

Die Realität in Berlin dagegen ist trist. Die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD ziehen sich hin, von Aufbruch keine Spur. Diese Woche war der Tiefpunkt: Umfragen zeigen weitere Verluste für die Union – und erstmals liegt die AfD bundesweit gleichauf mit CDU/CSU. Beide bei 24 Prozent. Ein historischer Moment. In der CDU rumort es nach der spektakulären Wende ihres Chefs Merz, der mit Sozialdemokraten und Grünen die Schuldenbremse aus dem Fenster warf. Eine Austrittswelle rollt. Friedrich Merz, der Kanzler in spe, ist angezählt, bevor er überhaupt sein Amt angetreten hat. Wäre politisch nicht mehr drin gewesen nach der Bundestagswahl im Februar?

Spekulieren wir: Wie hätte man sich konkret eine Koalition zwischen Unionsparteien und AfD vorzustellen? Diesen grössten anzunehmenden Tabubruch in der deutschen Politik?

Zwei Drittel der Deutschen sind gegen ein solches Regierungsbündnis. Merz hat es ausgeschlossen. Bundesweit wird die AfD als rechtsextremer Verdachtsfall vom Verfassungsschutz beobachtet, in drei Bundesländern gilt sie als «gesichert rechtsextrem». Trotzdem sitzen im neuen Bundestag nun 152 AfD-Abgeordnete. Die Regierungsmehrheit mit der Union wäre breit. Übereinstimmung mit CDU/CSU laut Wahl-O-Mat, einer App zum Vergleich von Wahlprogrammen für den Bürger: 61 Prozent. Von der Asylpolitik über massive Steuererleichterungen für Arbeitende bis zur Absage an einen «leichtfertigen Geschlechtswechsel» von Jugendlichen. Also?

Konsens bei Migration

Nirgendwo könnte Friedrich Merz sein Versprechen eines Politikwechsels deutlicher und einfacher einlösen als auf dem Gebiet der Migrationspolitik. Seine Ankündigung für den ersten Amtstag als Kanzler würde er unter Jubel der AfD wahr machen: dauerhafte Kontrolle der Grenzen und Zurückweisung aller Einreisenden ohne gültige Dokumente, also auch Asylsuchender. Die Opposition würde ihm vorwerfen, er bräche Europarecht. Doch das muss Merz erst einmal nicht kümmern, er hat eine starke Mehrheit. Auch seine anderen Ankündigungen einer Wende in der Asylpolitik sind in weiten Teilen deckungsgleich mit Forderungen der AfD. Etwa Abschiebehaft für alle ausreisepflichtigen Migranten oder Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft bei straffällig gewordenen Personen.

Für die AfD ist die Migration ein so zentrales Thema, dass sie wohl den Posten des Innenministers beanspruchen würde oder zumindest eines Staatssekretärs im Innenressort, der mit diesem Aufgabenfeld betraut wäre. Alice Weidel als Ministerin für Inneres und Heimat? Theoretisch denkbar. Oder Stephan Brandner, der immerhin einmal Obmann des Rechtsausschusses im Bundestag war, dann aber – eine Premiere – wegen politisch inakzeptabler Tweets abgewählt wurde. Brandner ist auch der Abgeordnete mit den meisten Ordnungsrufen im Parlament. «Pinocchio-Fritze», rief er Friedrich Merz zu, als der angehende Kanzler dieser Tage ans Rednerpult trat.

Kann Merz mit solchen Leuten zusammenarbeiten? «In der Welt, in der das möglich wäre, müsste ziemlich viel aus den Fugen geraten sein», sagt der Politikwissenschafter Christian Stecker von der TU Darmstadt. Das heutige Spitzenpersonal der CDU müsste dann weitgehend weg sein. Denn auf Bundesebene wäre Merz nicht zu einer solchen Koalition bereit, ebenso wenig CDU-Politiker auf Landesebene wie Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer oder sein Kollege in Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff. Andere müssten an ihre Stelle treten.

Selbst beim Thema Migration haben die gemeinsamen Interessen wie in der Wirtschafts- und der Familienpolitik ihre Grenzen: Von «Remigration», dem programmatischen Ziel der AfD, will die CDU keinesfalls etwas wissen. Käme es je zu einem Koalitionsvertrag, würde die AfD diese Idee vielleicht aufschieben. Es wäre ein Kompromiss, den sie um der Machtbeteiligung willen einginge.

Tatsächlich wäre die AfD mit ihren knapp 21 Prozent Stimmen ein gewichtiger Koalitionspartner, der Anspruch auf mehr Ministerposten anmelden würde als jetzt die Sozialdemokraten. Bei fünfzehn Fachministern, wie sie für die angestrebte schwarz-rote Koalition kolportiert werden, gingen vielleicht sieben an die AfD. Neben Weidel – so könnte man sich vorstellen – würde der Co-Parteichef Tino Chrupalla als Wirtschaftsminister ins Kabinett gehen und die ähnlich wie Brandner polemisch auftretende Beatrix von Storch als Familienministerin. Für das kritische Justizministerium verständigen sich die Koalitionäre auf eine parteilose Figur – so hatten es auch in Österreich FPÖ und ÖVP bei den letztlich gescheiterten Verhandlungen geplant.

Ein Völkischer als Bildungsminister?

Die Personaldecke bei der AfD ist dünn. Hinzu kommt die Zerstrittenheit von Landesverbänden, die in die Fraktion im Bundestag hineinwirkt. Mit Argwohn wird auch der Einfluss des thüringischen AfD-Chefs Björn Höcke verfolgt. Er hat seine Vertrauensleute in Berlin platziert und würde natürlich bei einer Regierungsbildung mitreden. Aber wäre ein völkisch gesinnter Höcke-Minister etwa für Bildung und Forschung akzeptabel für die Union? Und für die deutsche Öffentlichkeit?

Man dürfe sich von der thematischen Schnittmenge zwischen CDU/CSU und AfD nicht täuschen lassen, sagt der Soziologe Marcel Schütz von der Northern Business School in Hamburg, der an einem Buch über die AfD aus organisationssoziologischer Sicht arbeitet. «Es ist auch ebenso viel Material vorhanden, das diese Parteien trennt. Dinge, die man nicht einfach unentschieden liegen lassen kann, wie es CDU und SPD bei Verhandlungen tun würden, sondern wirkliche No-Gos und Kontraste, nicht zuletzt in Ton und Stil.»

Schütz nennt unüberbrückbare Gegensätze etwa in der Gesellschafts- und Aussenpolitik, zumal die freundliche Haltung der AfD gegenüber Russland. Stecker, der Politikprofessor aus Darmstadt, erwähnt das grundsätzliche Verständnis von Demokratie und Pluralismus, das Unions- von AfD-Politikern unterscheidet. «Wie möchte man mit Menschen zusammenarbeiten, die Andersdenkende letztlich delegitimieren und als abgehobene Volksverräter diffamieren?»

Für Friedrich Merz und die Union ist es ein Dilemma. Die Zeit arbeitet für die AfD. Hinter der Brandmauer, fern einer Regierungsbeteiligung, wächst die Alternative für Deutschland, bis sie zur stärksten politischen Kraft wird. In Teilen Ostdeutschlands ist es schon so weit. Eine Option gäbe es noch. Die Union könnte sie versuchen: eine Minderheitsregierung, getragen von wechselnden Mehrheiten, auch von der AfD, wenn es um die Migration ginge. In Deutschland ist die Minderheitsregierung verpönt, sie gilt als instabil. Doch wie stabil war die «Ampel»?

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Fiktion oder Möglichkeit: CDU-Koalition mit der AfD


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