Der Nato-Generalsekretär Mark Rutte hat kürzlich warnend darauf hingewiesen, Russland überlege sich, Atomwaffen im All zu platzieren. Wie gross ist die Gefahr und was steckt dahinter?
In 2000 Kilometern Höhe kreist der Satellit Kosmos 2553 um die Erde. Er umrundet die Erde alle zwei Stunden von neuem. Und seit ihn Russland am 5. Februar 2022 ins All geschossen hat, sorgt er auf der Erde für Aufsehen.
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Denn Kosmos 2553 ist kein gewöhnlicher Satellit. Er befindet sich in einer sogenannten Friedhofsumlaufbahn. Alle anderen Satelliten, die in derselben Bahn kreisen, sind seit Jahren inaktiv. Und das amerikanische Space Command sieht im Satelliten den Vorläufer einer verheerenden Waffe, die Russland entwickle: einer Atombombe, die im Weltraum gezündet werden könnte. Kosmos 2553 führt gemäss amerikanischen Angaben zwar keinen scharfen Nuklearsprengkopf mit sich, aber eine Attrappe.
Nato-Generalsekretär Mark Rutte dachte bestimmt auch an Kosmos 2553, als er kürzlich in der «Welt am Sonntag» vor Russland warnte. Der Nato sei bekannt, dass Russland die Möglichkeit prüfe, Atomwaffen im Weltraum zu platzieren, sagte er.
Man kennt die Bilder von Atombombentests auf der Erde und den Angriffen auf Hiroshima und Nagasaki vor 80 Jahren. Und ihre verheerenden Folgen.
Was wären die Konsequenzen einer Atombombenexplosion im Weltraum? Und was bezweckt Russland mit dieser Drohkulisse?
Auf die Detonation einer Atombombe folgen auf der Erde ein Feuerball, eine Druckwelle und der charakteristische Atompilz. Das alles würde im Weltraum wegen der fehlenden Atmosphäre nicht passieren.
Im Weltraum hätte eine Atombombenexplosion drei zerstörerische Wellen zur Folge. Zunächst käme es zu einem grellen Blitz von Gammastrahlung. Dieser würde Satelliten in einem Umkreis von etwa achtzig Kilometern sofort zerstören.
Dann folgte der elektromagnetische Impuls (EMP), der hauptsächlich aus Röntgenstrahlung besteht. Je nach Intensität und Ort der Detonation verursachte diese Strahlung Schäden am Boden und im Orbit.
Zuletzt bildete sich als Folge der Explosion ein Strahlungsgürtel entlang des Magnetfelds der Erde, der auf Jahre hinaus bestehen bliebe. Diese Strahlung ist zwar weniger unmittelbar, kann aber die Lebensdauer von Satelliten dennoch stark verkürzen.
Experten gehen davon aus, dass das primäre Ziel eines Atomwaffeneinsatzes im Weltraum die Zerstörung gegnerischer Satelliten sei. Um den grösstmöglichen Schaden zu verursachen, würde Russland also einen nuklear bewaffneten Nachfolger von Kosmos 2553 in einer niedrigen Erdumlaufbahn platzieren. Denn dort, in einer Höhe von etwa 500 Kilometern, befinden sich heute die meisten Satelliten.
Was für Schäden eine Detonation in einer niedrigen Erdumlaufbahn am Boden anrichten würde, könne man unmöglich vorhersagen, sagt Victoria Samson, Direktorin der Abteilung Weltraumsicherheit und -stabilität der privaten Stiftung Secure World Foundation.
Als Annäherung lässt sich einzig der amerikanische Atombombentest namens Starfish Prime aus dem Jahr 1962 heranziehen. Damals zündeten die USA in einer Höhe von 400 Kilometern über dem Pazifik einen atomaren Sprengkopf. Das führte auf Hawaii zu Schäden an elektronischen Einrichtungen und zum Ausfall Hunderter Strassenlampen.
Heute wären die Konsequenzen auf der Erde wohl unweigerlich schlimmer, weil Elektronik eine viel wichtigere Rolle spielt als noch 1962. Jegliche Elektronik, die sich unter dem Detonationsort befindet und nicht speziell gegen EMP geschützt ist, könnte durch den Impuls beschädigt oder zerstört werden.
Was die Atombombe in der erdnahen Umlaufbahn selbst anrichten würde, lässt sich derweil besser abschätzen. Die Folgen für alle zivilen Satelliten ohne speziellen Schutz gegen Strahlung wären katastrophal. Das beträfe also Telekommunikations- oder Erdbeobachtungssatelliten. Samson geht beispielsweise davon aus, dass ein beträchtlicher Teil der über 7000 Starlink-Satelliten der Firma SpaceX zerstört würden. Einige direkt durch die Explosion, die meisten in den Wochen oder Monaten danach, weil sie den entstandenen Strahlengürtel immer wieder durchquerten.
Die erdnahe Umlaufbahn verkäme auf absehbare Zeit zu einem riesigen Satellitenfriedhof. Die Menge an Weltraumschrott wäre enorm. Gegenwärtig fehlt es den Raumfahrtbehörden an Technologien, mit denen dieser beseitigt werden könnte. Und es würde Jahre dauern, bis all die kaputten Satelliten durch neue ersetzt wären.
In einem solchen Szenario verschont blieben hingegen Satelliten, die sich auf höheren Umlaufbahnen bewegen. Dies ist etwa bei den meisten GPS- oder Wettersatelliten sowie Raketenfrühwarnsystemen der Fall. Sie umkreisen die Erde in deutlich grösserer Entfernung, 36 000 Kilometer über der Erde.
Doch unter welchen Umständen könnte Russland einen Atombombeneinsatz mit solch katastrophalen Folgen überhaupt erwägen?
«Ich glaube, Russland würde eine solche Waffe nur verwenden, wenn es keinen anderen Ausweg sieht», sagt Juliana Süss, Expertin für Weltraumsicherheit bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik.
Auf der Erde behält sich Russland den Einsatz von Atomwaffen etwa für den Fall einer existenziellen Bedrohung vor, oder «um einen Krieg zu den eigenen Bedingungen zu beenden». Am Boden scheint ein russischer Atombombeneinsatz derzeit sehr unwahrscheinlich. Dasselbe dürfte also auch für einen Einsatz im Weltraum gelten.
Dem Test von Kosmos 2553 dürften andere Motive zu Grunde liegen. Es geht Russland darum, militärische Schwächen zu kompensieren, die es in anderen Bereichen zweifellos hat. Das Kokettieren mit der Atombombe, ob am Boden oder im All, hält die russische Drohkulisse aufrecht.
Gleichzeitig dürfte es Russland darum gehen, mit Kosmos 2553 noch ein weiteres Signal auszusenden. Russland sei viel weniger vom Weltraum abhängig als etwa die USA, sagt die Sicherheitsexpertin Samson. Die USA hätten etwa 8100 aktive Satelliten im All, China 1000 und Russland 300. «Russland hätte im Weltraum deutlich weniger zu verlieren.»
Der internationalen Gemeinschaft zeigt Russland mit dem Test des Kosmos 2553 derweil einmal mehr, wie wenig es von einer regelbasierten Ordnung hält. Der Uno-Weltraumvertrag von 1967 verbietet die Stationierung von Atomwaffen im Weltraum. Die USA und die Sowjetunion hielten sich stets daran und testeten nach 1963 auch keine nuklearen Sprengköpfe mehr im Weltraum.
Vor einem Jahr wollten die USA und Japan der Staatengemeinschaft den Weltraumvertrag wieder in Erinnerung rufen. Sie brachten eine Resolution in den Uno-Sicherheitsrat ein, in der alle Staaten dazu auffordert wurden, «aktiv zum Ziel der friedlichen Nutzung des Weltraums und der Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum beizutragen und Massnahmen zu unterlassen, die diesem Ziel und den einschlägigen Bestimmungen zuwiderlaufen».
Russland legte sein Veto ein und verhinderte so die Resolution. China enthielt sich. Über die Gründe dafür gehen die Ansichten auseinander. Einige hätten Russlands Veto als ein Schuldeingeständnis gesehen, sagt Samson. Aus ihrer Sicht sei es Russland aber eher darum gegangen, den USA keinen diplomatischen Erfolg zu gewähren.
Einige Monate später stimmte die Uno-Generalversammlung über die Resolution ab: 167 Länder stimmten dafür, Russland, Iran, Syrien und Nordkorea stimmten dagegen, China und einige andere Länder enthielten sich. Die Abstimmung hat zwar keine direkte Auswirkung. Sie zeigt aber immerhin, dass eine grosse Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft keine Massenvernichtungswaffen im Weltraum sehen will.
Russland stimmte nicht nur dagegen. Sondern es stellt diesen jahrzehntelangen Konsens nun offen infrage. Der Kosmos 2553 ist der fliegende Beweis dafür.
Ein Artikel aus der «»
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