Bern will den Nashornkäfer wieder ansiedeln


A reintroduction project in Bern aims to establish a new population of rhinoceros beetles, highlighting the broader issue of insect decline and habitat loss in Switzerland.
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Er schlüpft, paart sich – und stirbt: Bern will den Nashornkäfer wieder ansiedeln

In Bern haben Fachleute Larven und ausgewachsene Nashornkäfer an der Aare ausgesetzt. Die Insekten sollen eine neue Population gründen. Ein aufwendiges Projekt für ein kurzlebiges Insekt: Doch der Käfer steht für ein grösseres Problem.

Der Nashornkäfer gilt im Schweizer Mittelland seit Jahrzehnten als ausgestorben. Der letzte Fund in Bern stammt aus dem Jahr 1978. PD

Das Schicksal eines Nashornkäfers ist vorbestimmt. Die ersten drei Jahre seines Lebens verbringt er als Larve im Dunkeln, verborgen im Totholz. Dann schlüpft er, fliegt, paart sich – und stirbt. Dazwischen vergehen nur wenige Tage bis Wochen.

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So kurz das Leben des Nashornkäfers ist, so schlecht steht es um seinen Bestand. Im Schweizer Mittelland gilt er seit Jahrzehnten als ausgestorben. Der letzte Fund in Bern stammt aus dem Jahr 1978. Nur im Wallis, im Tessin, im Raum Lausanne, in Basel und im Jura leben noch einzelne Populationen. Das soll sich ändern.

In Bern wird der Nashornkäfer nun an vier Standorten entlang der Aare wiederangesiedelt, wie die Stadt am Mittwoch mitteilte. Die Auswilderung erfolgt im Rahmen eines Projektes von Stadtgrün Bern, dem Tierpark Bern und dem Naturhistorischen Museum Bern. Ziel sei es, neue Lebensräume für seltene holzbewohnende Käferarten zu schaffen, damit langfristig neue Populationen heranwachsen können.

Der Käfer benötigt spezielle Strukturen

Lea Kamber ist selbständige Biologin und Käferexpertin. Sie hat das Projekt vor vier Jahren zusammen mit der Stadt Bern initiiert und war an der Züchtung der Larven beteiligt. Dafür hat sie in Basel Nashornkäfer gefangen. Im Tierpark Bern liess man die Käfer sich paaren und die Larven ihren dreijährigen Entwicklungszyklus abschliessen. Nun ist die erste Zuchtgeneration kurz vor der Verpuppung.

Gleichzeitig wurden im Aareraum spezielle Totholzstrukturen, wie abgestorbene Bäume, Strünke sowie verpilzte Holzschnitzelhaufen, aufgebaut. Sie dienen den Käfern als Brutstätte und Schutzraum. In diesem Habitat sind nun 40 Larven und 90 adulte Käfer ausgewildert worden. Letztere stammen aus der Zucht und haben sich in Gefangenschaft bereits verpuppt und zu Käfern entwickelt. Nun stehen sie kurz vor der Paarung. Das Ziel des Projekts: eine neue Population im Mittelland. Im besten Fall fliegen die adulten Käfer weiter und suchen neue geeignete Lebensräume, wodurch sich die Art weiterverbreitet. Doch das Unterfangen ist schwierig. Weil die ausgewachsenen Käfer nur kurz leben, fliegen sie selten weit.

Lea Kamber, Biologin und Käferexpertin PD

Neben der kurzen Lebensdauer gibt es jedoch auch noch andere Gründe, warum die Bestände des Nashornkäfers heute so klein sind. Lea Kamber spricht von einem «unglücklichen Zusammenspiel» aus fehlendem Lebensraum und fehlender passender Nahrung. Der Käfer sei zwar anspruchslos. Er frisst verrottetes Holz, lebt in alten Strünken und Holzhaufen. Doch sein Lebensraum wurde ihm vor langer Zeit genommen.

Während der Kriegsjahre sammelte und verbrannte man viel Totholz. Der Käfer siedelte in Eichenschnitzelhaufen um – ein Abfallprodukt in Gerbereien. Doch weil die Lederherstellung in der Schweiz nicht rentabel ist, haben in den vergangenen Jahrzehnten die meisten Gerbereien den Betrieb eingestellt. Mit ihnen verschwand auch der Nashornkäfer. Zudem machte ihm die Kälte zu schaffen, er hat es gerne warm. «Durch den Klimawandel steigen seine Chancen», sagt Kamber.

Gross, auffällig und ideal, um Aufmerksamkeit zu wecken

Der Nashornkäfer ist nur ein Beispiel für ein grösseres Problem. Vielen Käfern in der Schweiz ergeht es ähnlich wie ihm. Mehr als 60 Prozent der 256 bewerteten einheimischen Käferarten gelten laut einer durch das Bundesamt für Umwelt in Auftrag gegebenen Analyse als gefährdet oder potenziell gefährdet. Dafür sei vor allem der Verlust geeigneter Lebensräume verantwortlich, unter anderem durch Bautätigkeit, den Einsatz von Pestiziden und die zunehmende Isolation von Populationen.

Lea Kamber sagt, jede Art verlange individuelle Lösungen, habe ihre eigenen Ansprüche. Der Nashornkäfer braucht morsches Holz. Der Pappelbock frisst nur Pappel. «Auch ein Biber will etwas anderes als ein Wolf – das gilt auch für die rund 30 000 Insektenarten in der Schweiz.»

Die Stadt Bern will mit dem Projekt nun ein Zeichen gegen das Insektensterben setzen. Kamber sagt, man habe sich absichtlich für den Nashornkäfer als Symbol entschieden. Er sei ein «Hingucker». Gross, auffällig und deshalb ideal, um Aufmerksamkeit in der Bevölkerung zu wecken. «Es gibt zwar Arten, die viel stärker unter Druck sind als der Nashornkäfer. Aber die sind kleiner, und damit erreichen wir die Bevölkerung nicht.»

Doch trotz derzeitiger Aufmerksamkeit: Der Nashornkäfer bevorzugt ein Leben im Verborgenen. Beobachten kann man ihn nur an warmen Sommerabenden. Tagsüber versteckt er sich im Holzhaufen, um sich vor Fressfeinden wie Krähen und Elstern zu schützen. Zudem wird er vom Licht angezogen und ist häufig in der Nähe von ständigen Lichtquellen wie Strassenlaternen zu sehen.

In Bern erwarten den Nashornkäfer also einige Feinde. Doch Lea Kamber ist zuversichtlich, dass der Käfer im Mittelland wieder ansässig wird. «Weil er so anspruchslos ist, sind die Bedingungen ideal.» Dennoch zeigt sein Schicksal, wie verletzlich die Vielfalt ist. Aber auch, was möglich gewesen wäre, wenn man sie geschützt hätte. Mit etwas Geduld und den richtigen Bedingungen könnte der Nashornkäfer also bald wieder zu einem festen Teil der heimischen Artenvielfalt im Mittelland werden.

So viel Aufmerksamkeit ist der Nashornkäfer nicht gewohnt. Er bevorzugt ein Leben im Verborgenen. PD

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