Bundesgericht: Polizei stürmt Wohnung von schwulem Paar, jetzt ist das Urteil da


AI Summary Hide AI Generated Summary

Key Ruling:

The Swiss Federal Supreme Court upheld the legality of a police search conducted on a gay couple's home without a warrant. The authorities suspected a sham marriage, leading to the search. The court's decision was a close one, with a 3-2 vote.

The Case:

The case involved a Peruvian doctoral student, Edoardo Pérez, who married his Swiss partner, David Pfister, to secure his residency. Authorities suspected a sham marriage, resulting in a police raid at 6 AM on their home. The police photographed personal items and questioned the couple separately. No official warrant was present.

Court's Decision:

The Federal Supreme Court ruled that the search, though lacking a warrant, was legal under immigration laws granting authorities broad powers in investigating potential immigration violations. The court deemed the couple's lack of explicit resistance to the search as tacit approval. A dissenting opinion highlighted the violation of privacy rights and lack of proper information given to the couple regarding their rights.

Controversy & Implications:

The decision sparked a debate about balancing privacy rights with immigration enforcement. The court emphasized the “cooperation obligation” placed on immigrants and those associated with them. The ruling's implications for similar cases across Switzerland remain uncertain. The couple will decide on further legal appeals.

Criticisms:

  • The search was conducted without a warrant or prior notification.
  • The couple wasn't informed of their rights to refuse the search.
  • The ruling raises concerns about potential disproportionate measures by authorities.
Sign in to unlock more AI features Sign in with Google

Urteil im «Schweizermacher»-Fall: Bundesgericht gibt Zürcher Migrationsbehörden recht – Hausdurchsuchung bei schwulem Paar war legal

Der Verdacht: Scheinpartnerschaft. Das Vorgehen: ziemlich resolut. Aber illegal? Darüber hat das Bundesgericht ein aufsehenerregendes Urteil gefällt.

Illustration Joana Kelén / NZZ

An einem Donnerstagmorgen im August 2022 steht die Polizei vor der Haustür der zwei Männer. Es ist kurz nach sechs Uhr, das Paar ist eben aufgestanden. Nur Momente später wird ihr Privatleben von zwei Zürcher Kantonspolizisten durchleuchtet.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Sie öffnen Schränke, fotografieren Zahnbürsten und schauen sich auf den Mobiltelefonen der beiden Fotos an. Alles wird fotografisch festgehalten. Höflich seien die Polizisten gewesen, so erzählt es der Anwalt des Paares. Und doch seien seine Klienten sich in diesem Moment wie Verbrecher vorgekommen, wie im falschen Film.

Anders als im Krimi fehlte dieser Durchsuchung jedoch das, worum sich Fernsehkommissare jeweils mit viel Drama bemühen: ein offizieller Durchsuchungsbefehl. Ja, gegen die beiden Männer, deren Wohnung ohne Vorwarnung inspiziert wird, läuft noch nicht einmal ein Strafverfahren.

Stattdessen erfahren die beiden, dass man sie verdächtigt, eine Scheinpartnerschaft zu führen. Was in einer solchen Situation ihre Rechte sind und auf welcher gesetzlichen Grundlage die Durchsuchung erfolgt – das erfahren sie dagegen nicht. So wird es später ein Urteil des Zürcher Verwaltungsgerichts festhalten.

Ob die Zürcher Behörden korrekt handelten oder mit ihrem Vorgehen vielmehr selbst das Recht brachen, ist bis heute umstritten. Als «Schweizermacher»-Fall sorgte die Geschichte national für Schlagzeilen.

Nun hat das oberste Gericht des Landes, das Bundesgericht, in der Sache geurteilt. Es ist ein Entscheid, der Folgen haben wird für die Arbeit von Migrationsbehörden im ganzen Land. Und der nicht im Sinn des betroffenen Paars ausfällt.

Am Dienstagnachmittag befand das Gericht nach mehrstündiger öffentlicher Diskussion: Das Vorgehen der Zürcher Behörden war nicht über jeden Zweifel erhaben. Grundsätzlich aber war es legal. Die Hausdurchsuchung hat nicht gegen geltendes Recht verstossen.

In der Komödie «Die Schweizermacher» von 1978 verfolgen zwei Beamte mögliche Einbürgerungskandidaten. Sie kontrollieren ihre Wohnungen, beschatten sie – und wurden so zu filmischen Symbolen des Bünzlitums. T&C Film

Um zu verstehen, was dieses Urteil bedeutet und wie es zustande kam, muss man zurückblicken, zurück auf eine Liebesgeschichte. Edoardo Pérez reist im Februar 2017 legal in die Schweiz ein, um ein Doktorat in einem naturwissenschaftlichen Fach zu beginnen. Er zieht zu David Pfister, die beiden leben als Paar zusammen.

Beide Namen sind Pseudonyme. Die Schilderungen in diesem Artikel beruhen auf Dokumenten aus dem Gerichtsverfahren, die der NZZ vorliegen.

Der Verdacht der Behörden

Zunächst wohnt das Paar in Zürich, wo Pérez doktoriert. Dann, ein Jahr nach der Einreise, wechselt er an die Universität Bern und bezieht dort eine eigene Wohnung. 2021 droht seine Aufenthaltsbewilligung auszulaufen. Einen Tag vor dem fraglichen Datum lassen die beiden ihre Partnerschaft offiziell eintragen. Als Partner eines Schweizers darf Pérez im Land bleiben. Er nimmt auch seinen Namen an.

Damit ist der Verdacht der Behörden geweckt. Zunächst verlangen die Berner Migrationsbehörden, dass die beiden in derselben Wohnung wohnen. Nur so sei der Verbleib des Peruaners im Land möglich. Das Paar fügt sich, zieht in Zürich wieder zusammen.

Doch nun hegt das Zürcher Migrationsamt den Verdacht, dass die beiden «ihre Partnerschaft nur zum Schein haben eintragen lassen». So steht es in einem Brief, den das Amt an die Zürcher Kantonspolizei schickt. Datiert ist er auf den 13. Juni 2022.

Das Paar weiss zu diesem Zeitpunkt nichts vom Verdacht der Behörden. Statt sie zu einem Gespräch zu laden, bitten die Migrationsbehörden die Polizei, am Wohnort der beiden «eine Kontrolle vorzunehmen und die beiden Partner getrennt (. . .) zu befragen».

Das tut die Polizei am besagten Donnerstag im August. Nach der Kontrolle der Wohnung nehmen die Polizisten Edoardo mit auf den Posten. Sein Partner muss zu Fuss nachkommen. Dann werden beide getrennt befragt. Dabei zeigt sich: Am Vorwurf einer Scheinpartnerschaft ist nichts dran, die Behörden lassen ihren Verdacht fallen.

Die beiden Männer fragen sich dagegen: Ist das, was ihnen hier passiert ist, überhaupt legal?

Für ihren Anwalt, Christian Bignasca, ist klar: Nein, ist es nicht. «Wenn wirklich ein Verdacht auf eine Scheinpartnerschaft besteht, kann das Migrationsamt Strafanzeige einreichen», sagt er der NZZ. Dann sei eine Hausdurchsuchung ebenfalls möglich – aber unter Wahrung der Verfahrensrechte der Betroffenen. So aber sei das Vorgehen unverhältnismässig und verletze die Grundrechte der beiden Männer.

Bignasca bezweifelt ausserdem, dass die Migrationsbehörden das Recht haben, direkt bei der Polizei eine Hausdurchsuchung anzuordnen – er spricht von einer «unzulässigen Zwangsmassnahme».

Gerne hätte die NZZ erfahren, wie das zuständige Sicherheitsdepartement von Regierungsrat Mario Fehr (parteilos) die Angelegenheit sieht. Und wie viele solche Hausbesuche jedes Jahr im Kanton Zürich durchgeführt werden. Weder die Kantonspolizei noch das Migrationsamt wollten jedoch Stellung nehmen. Auch im Gerichtsverfahren verzichteten die Amtsstellen darauf, sich zu äussern.

Speziell an der Geschichte ist, dass die Zürcher Behörden den Betroffenen zunächst nicht einmal eine Bestätigung des Geschehenen ausstellen wollen. Erst als sie an das Zürcher Verwaltungsgericht gelangen, hält dieses fest: Die beiden haben ein Recht darauf, das behördliche Vorgehen juristisch überprüfen zu lassen.

Das Gericht kritisiert ausserdem, wie die Kontrolle durchgeführt wurde. So hätten es die Polizisten unterlassen, das Paar über eine zentrale Tatsache aufzuklären: nämlich dass sie die Durchsuchung auch hätten verweigern dürfen. Das hätte zwar zu ihrem Nachteil ausgelegt werden dürfen – als Indiz für eine Scheinpartnerschaft. Doch es wäre ihr Recht gewesen. Allenfalls, so das Gericht, hätten die Zürcher Behörden somit auch das Recht auf persönliche Freiheit der beiden verletzt.

Der Showdown vor Gericht

Im Grundsatz beurteilte das Gericht eine solche unangemeldete Wohnungskontrolle jedoch als zulässig. Denn: Wenn es um Einwanderer geht, gibt das Ausländergesetz den Behörden weitgehende Befugnisse, Verstösse auch ausserhalb des Strafrechts abzuklären.

Ausländer müssen in solchen Untersuchungen mit den Behörden kooperieren – «Mitwirkungspflicht» nennt sich das. Ein Recht, seine Aussage zu verweigern, so wie in den TV-Krimis? Gibt es nicht. Und, so legt dieser Fall nahe: Diese weitgehenden Befugnisse der Behörden können auch alle Schweizer tangieren, die mit einer Ausländerin oder einem Ausländer liiert sind.

Weil das Paar diese Sichtweise nicht akzeptieren wollte, zog es den Fall weiter ans Bundesgericht. Dort misst man der Frage eine grosse Bedeutung zu. Sie wurde am Dienstag in aller Öffentlichkeit von fünf Richterinnen und Richtern diskutiert. Ein Vorgehen, das nur höchst selten erfolgt bei Rechtsfragen von grundsätzlichem Charakter.

Die Frage lautet in diesem Fall: Was wiegt schwerer? Das Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre und Unverletzlichkeit der Wohnung, festgeschrieben in der Bundesverfassung und der Europäischen Konvention für Menschenrechte? Oder das öffentliche Interesse an der Überführung von Scheinehen und, allgemeiner, die ausländerrechtliche Pflicht, mit den Behörden zu kooperieren?

Die Debatte darüber war kontrovers. Während fast drei Stunden diskutierten die Richter. Hoch oben auf ihrem Podium, mitten im repräsentativen Hauptsaal des Bundesgerichts in Lausanne. Am Schluss stimmten sie ab.

Der Entscheid fiel denkbar knapp aus, mit drei zu zwei Stimmen. Vergeblich hatte die Minderheit argumentiert, die Durchsuchung sei widerrechtlich (so die SP-Richterin Marianne Ryter) oder unverhältnismässig (so der FDP-Richter Matthias Kradolfer) gewesen. Eine parteipolitisch bunte Allianz setzte sich mit einer anderen Sichtweise durch.

Das Recht sei das Recht, es könne einem passen oder nicht, so sagte es Florence Aubry Girardin (Grüne). Aber in der Schweiz könne man nur dann eine Aufenthaltsbewilligung für seinen Partner erwirken, wenn man sich tatsächlich in einer Lebenspartnerschaft befinde. Und die Behörden hätten die Aufgabe, das zu kontrollieren.

Wohnungsbesuche wie der vorliegende fänden jedes Jahr zu Hunderten statt, ergänzte Julia Hänni (Mitte). «Niemand will so etwas erleben.» Aber solange sie ohne Zwang erfolgten, seien sie zulässig. Und – darin war sich die Mehrheit einig – es gebe im vorliegenden Fall eben keinen Beleg für ein gewaltsames Eindringen der Polizei.

Man sei hier nicht im Strafrecht, sagte der parteilose Richter Yves Donzallaz (einst für die SVP gewählt). Gehe es um das Ausländerrecht und das dazugehörende Verwaltungsverfahren, gälten andere Regeln.

Eine davon lautet gemäss einer Mehrheit der Richter: Gibt es keinen klar geäusserten Widerstand gegen die Durchsuchung, dürfen die Behörden auch ohne explizite Einwilligung fortfahren. Eine Regelung, die der unterlegene Anwalt Bignasca nach der Verhandlung als «realitätsfern» kritisierte.

Seine Klienten wollten nun die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und dann entscheiden, ob sie das Urteil an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiterziehen.

Seitens der siegreichen Zürcher Amtsstellen blieb eine Reaktion aus. Somit bleibt auch die Frage offen, ob Migrationsamt und Kantonspolizei ihre Praxis bei solchen Durchsuchungen beibehalten werden.

Immerhin hat auch eine Mehrheit der Bundesrichter an der Kritik des Zürcher Verwaltungsgerichts festgehalten: Das Paar sei zu wenig über das Tun der Polizei, die eigenen Rechte und Pflichten aufgeklärt worden. Das komme einer ernsten Verletzung der Grundrechte gleich.

Das Urteil ist also kein Freibrief. Für Migrationsämter im ganzen Land heisst es dennoch: Sie dürfen die Polizei auch künftig frühmorgens in die Wohnung von Verdächtigen schicken, ganz ohne Durchsuchungsbefehl oder Strafverfahren. Mit dem Ziel, möglichst jede Scheinehe zu finden, eine fotografierte Zahnbürste nach der anderen.

Urteil 2C_9/2024 vom 10. Juni 2025.

Was this article displayed correctly? Not happy with what you see?

Tabs Reminder: Tabs piling up in your browser? Set a reminder for them, close them and get notified at the right time.

Try our Chrome extension today!


Share this article with your
friends and colleagues.
Earn points from views and
referrals who sign up.
Learn more

Facebook

Save articles to reading lists
and access them on any device


Share this article with your
friends and colleagues.
Earn points from views and
referrals who sign up.
Learn more

Facebook

Save articles to reading lists
and access them on any device