Beim Prozessauftakt im niedersächsischen Celle listen die Ankläger alle mutmasslichen Raubüberfälle der 66-Jährigen auf, sprechen auch über die traumatisierten Opfer. Klette zeigt keine Reue.
Die niedersächsische Stadt Celle ist eigentlich ein beschaulicher Ort. Doch an diesem Dienstag sichern bewaffnete Spezialkräfte der Polizei einen Teil der von Fachwerkhäusern gesäumten Altstadt ab. Vor dem Gebäude des Oberlandesgerichts demonstrieren derweil rund drei Dutzend Altlinke und Linksautonome. Sie spielen den Song «Polizei, SA, SS» der Achtzigerjahre-Punkband Slime ab, in dem der Sänger deutsche Polizisten als «Bullenschweine» und «moderne Nazis» verunglimpft. Und sie rufen lautstark nach «Freiheit für Daniela».
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Daniela Klette, ein früheres Mitglied der linksextremen Rote-Armee-Fraktion (RAF), steht an diesem Dienstag vor Gericht. Ihr werden dreizehn bewaffnete Raubüberfälle vorgeworfen, die sie nach ihrer Zeit als Linksterroristin begangen haben soll. Die Staatsanwaltschaft Verden klagt sie in diesem Zusammenhang auch des unerlaubten Waffenbesitzes und des versuchten Mordes an. Sie kommt erst nach fünfeinhalb Stunden zu Wort – und beginnt ihre Einlassung mit einem nostalgischen Blick zurück.
Die 35 Jahre in der Illegalität seien eine «sehr wertvolle Zeit gewesen», sagt sie. Sie bedaure, dass die Polizei infolge der Fahndung ihre Freunde «mit Verhören drangsaliert» habe. Die ihr angelasteten Raubüberfälle erwähnt Klette nur am Rande. Es werde das «falsche Bild einer marodierenden, zum Morden bereiten Räuberbande» verbreitet, sagt sie. Sie verklärt auch ihre Zeit in der RAF. Anstatt von Anschlägen spricht sie von «militanten Aktionen gegen imperialistischen Krieg, Knast und Kapital». Sie sagt: «Mich haben sie jetzt.» Auf ein Wort des Bedauerns wartet das Gericht vergebens.
Stattdessen holt die 66-Jährige zu einer Schimpftirade aus. Gegen die «kopfgeldgeilen Denunzianten» – Bürger, die sich bei der Polizei gemeldet hatten, weil sie Passanten für ihre mutmasslichen Komplizen Burkhard Garweg oder Ernst-Volker Staub gehalten hatten. Gegen die vermeintlichen «Kriegstreiber» in der Regierung, die «Kriegsängste vor den Russen» schürten. Gegen den «Völkermord», den die israelische Regierung angeblich im Gazastreifen begehe. Und gegen die Justiz, deren Behauptung, dieser Prozess habe nichts mit ihrer Zeit in der RAF zu tun, «verlogen» sei.
Minuten zuvor hatte einer von Klettes Verteidigern, der Berliner Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff, einen Antrag gestellt. Das Gericht solle das Verfahren gegen Klette sofort einstellen und den Haftbefehl gegen sie aufheben.
Das Argument: Das Gericht sei nicht neutral. Es orientiere sich zu sehr an den parallel verlaufenden Ermittlungen des Generalbundesanwalts. Dieser ermittelt in einem anderen Verfahren gegen Klette. Sie soll sich an politischen Delikten beteiligt haben, unter anderen an einem Schusswaffenanschlag auf die amerikanische Botschaft in Bonn im Jahr 1991 und bei der Sprengung des Rohbaus der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt zwei Jahre später.
All das ist nicht Gegenstand des Verfahrens in Celle. Und doch kommt von Klinggräff immer wieder darauf zu sprechen, wenn er auf die Anklage zurückkommt. Er will darin mehrere Fehler entdeckt haben, die seinen Vorwurf der Vorverurteilung stützen sollen. So habe die Anklage hinsichtlich zweier Raubüberfälle immer wieder auf vermeintliche Erkenntnisse zur Struktur der RAF verwiesen, obwohl die sich doch 1998 offiziell aufgelöst habe. «Damit sind die Grundlagen für ein faires Verfahren nicht gegeben», meint er.
Über zwei Stunden spricht von Klinggräff über die Raubüberfälle und die RAF, inszeniert sich als Kämpfer gegen ein angeblich falsches vorherrschendes Geschichtsbild über die linksextremistische Gruppe, auf deren Konto während der 27 Jahre ihres Bestehens 34 Tote gingen.
Es ist nicht der erste Prozess, in dem von Klinggräff Linksextreme verteidigt. Zuletzt hatte er auch die Extremistin Lina E. vertreten, die gemeinsam mit mehreren Komplizen Menschen krankenhausreif geprügelt hatte, die sie für Rechtsextreme hielt. Von Klinggräff versucht in Celle immer wieder, den Prozess als politisch motiviert darzustellen.
Dem entgegen steht der Vortrag der Staatsanwaltschaft. Sie listet detailliert alle dreizehn Raubüberfälle auf, an denen Klette zwischen 1999 und 2016 beteiligt gewesen sein soll. Klette, Garweg und Staub sollen Fahrer von Geldtransportern und Kassierer in Supermärkten mit Waffen bedroht haben. Einen Mann sollen sie sogar versucht haben zu ermorden.
Der bewaffnete Raubüberfall, bei dem der Fahrer eines Geldtransporters laut der Anklage knapp dem Tod entging, ereignete sich am 6. Juni 2015 im niedersächsischen Stuhr. Garweg soll dabei mit einem Sturmgewehr in Richtung des Fahrers gefeuert haben, der Stahlkern der Kugel habe diesen nur knapp verfehlt. «Die zweite geht durch», soll Garweg gedroht haben. Klette soll derweil den Fahrer, vor dem Auto stehend, mit einer funktionsuntüchtigen Panzerfaust bedroht haben. Staub sei ebenfalls bewaffnet gewesen und habe den Tatort abgesichert.
Dem Trio gelang die Flucht. Doch der Fahrer des Transporters und sein Kollege leiden bis heute unter den Folgen des Überfalls. Laut der Staatsanwaltschaft wurde der Fahrer wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung stationär behandelt. Sein Beifahrer habe in der Zeit nach dem Angriff unter Zitterattacken, Schlafstörungen und Angstzuständen gelitten.
Beim kommenden Verhandlungstermin am 15. April soll der Fahrer im Prozess als Zeuge auftreten. Insgesamt 56 Verhandlungstage sind in diesem Jahr für den ersten Klette-Prozess angesetzt. Ab Mai oder Juni dieses Jahres soll der Prozess nicht mehr in Celle, sondern in einer zum Gerichtssaal umgebauten Reithalle in Verden stattfinden. Er dürfte zu einem der aufwendigsten Strafprozesse der vergangenen Jahre werden.
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