Der Angriff der Autokraten – Russland und China wollen eine neue Weltordnung


China and Russia are actively collaborating to reshape the global order, challenging the existing system and aiming for greater global dominance.
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Der Angriff der Autokraten – Russland und China haben sich zusammengetan, um die Weltordnung in ihrem Sinn und Interesse neu zu definieren

Es wird immer klarer: Russland und China wollen nicht einfach nur ihre Position innerhalb der bestehenden Ordnung verbessern. Sie trachten nach weitaus mehr: nach einer ganz anderen Weltordnung.

Xi Jinping und Wladimir Putin begrüssen sich im Kreml anlässlich des Jahres des chinesischen Tourismus in Russland, 2013. Sergei Ilnitsky / AP

Als der chinesische Präsident im März 2023 nach einem sechsstündigen Treffen mit dem russischen Präsidenten abends den Kreml verliess, hielt er auf der Schwelle, auf dem Weg zur Limousine, noch einmal inne, um sich von seinem Gastgeber zu verabschieden und seine Abschiedsbotschaft zu formulieren: «Derzeit finden Veränderungen statt, wie man sie in einem Jahrhundert nicht gesehen hat», sagte Xi zu Putin, ­einen seiner Lieblingssätze benutzend. Dann aber kam es: «Wenn wir zusammen sind, sind wir es, die diese Veränderungen vorantreiben.» Dem chinesischen Präsidenten war offenkundig nicht klar, dass die ein Stück entfernt stehenden Journalisten seine Worte dank ihren Mikrofonen mithörten. «Ich stimme zu», antwortete der russische Präsident, «pass auf dich auf, bitte, lieber Freund.»

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Für einen Moment lang hatte Xi Jinping versehentlich die sorgsam aufgebaute Deckung aufgegeben – das Bemühen darum, sein strategisches Denken hinter einer Unzahl von vorgestanzten Formeln zu verstecken, um seine Gegner nicht in die eigenen Karten schauen zu lassen. Der seit Jahren von Xi immer wieder verwendete Satz von den «Veränderungen», die «man sieht», bekam plötzlich einen neuen Sinn; der chinesische Präsident setzte ihn vom passiven in den aktiven Modus. Was zuvor nach einer historisch-politischen Diagnose klang – die Welt verändert sich nun einmal dramatisch, und China muss sich anpassen –, enthüllte Xi an jenem Abend als Kern einer Strategie, seiner eigenen: Es ist China, das die Veränderungen vorantreibt. Das Ereignis, das laut Xi die Geschichte so dramatisch verändert, ist der Aufstieg Chinas.

Epochale Veränderungen

Doch damit nicht genug: Was Xi mit seiner Bemerkung ebenfalls offenbarte, betraf Chinas Haltung gegenüber Russland, das im Februar des Vorjahres mit dem Angriffs- und Eroberungskrieg gegen die Ukraine der bestehenden Ordnung den offenen Kampf angesagt hatte. Xi sieht Russland als Partner bei seinem Plan, die Weltordnung umzubauen und Veränderungen voranzutreiben, «wie man sie in einem Jahrhundert nicht gesehen hat». Wenn Russland mitmacht, dann sind es «wir», die diese epochalen Veränderungen vorantreiben. Das hat Xi nicht einfach nur so dahingesagt, vielmehr handelte es sich offenkundig um die zentrale Botschaft seines Besuches in der russischen Hauptstadt.

«Wenn wir zusammen sind, sind wir es, die diese Veränderungen vorantreiben», sagte Xi Jinping zu Putin.

Xis Worte beschreiben eine Strategie, die auf globale Vormacht und Vorherrschaft abzielt. Seit seinem Amtsantritt als Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas im November 2012 und seiner Wahl zum Staatspräsidenten im März 2013 hat Xi systematisch die Macht im Land in seinen Händen konzentriert. Unangefochten dominiert er heute die chinesische Politik. Zugleich hat er China als Weltmacht etabliert: mit dem Ausbau der Streitkräfte und einer strategischen Neupositionierung der Wirtschaft, die eine zunehmende globale Dominanz und Autonomie anstrebt.

In den Jahren, in denen Xi an der Macht ist, hat sich China tatsächlich zum Wettbewerber der USA um die Position der globalen Führungsmacht entwickelt, wie in der amerikanischen Strategie für nationale Sicherheit im Oktober 2022 festgestellt wurde: China sei jetzt der «einzige Wettbewerber, der die Absicht hat, die internationale Ordnung neu auszurichten, und der, in zunehmendem Masse, die wirtschaftliche, diplomatische, militärische und technologische Macht dazu besitzt».

Dabei setzt der chinesische Präsident schon lange auf die enge Partnerschaft mit der anderen eurasischen Grossmacht – Russland. Während des Kalten Krieges war China zur Sowjetunion, zuvor das grosse Vorbild für Mao und seine Kommunisten, auf Distanz gegangen. 1969 eskalierte ein Grenzkonflikt sogar zu einem begrenzten Krieg. Mao sah die Sowjetunion zunehmend als Bedrohung, weshalb er freundschaftliche Beziehungen mit dem Erzfeind der Sowjetunion anbahnte – 1972 reiste US-Präsident Richard Nixon mit seinem Sicherheitsberater Henri Kissinger nach China. Erst knapp zwanzig Jahre später führte der Zusammenbruch der Sowjetunion Ende 1991 zur Wiederannäherung.

Wachsende Nähe

Xi hat diesen Prozess ganz besonders zu seiner Sache gemacht: Seine erste Auslandsreise als chinesischer Präsident im März 2013 führte ihn nach Moskau. Seither ist Xi neunmal nach Russland gereist; beide Präsidenten haben sich über vierzigmal bei verschiedenen Gelegenheiten getroffen, in Moskau, in Peking oder bei Gipfeltreffen anderswo.

Die wachsende Nähe zwischen Russland und China führte zur Verabschiedung einer gemeinsamen umfassenden Erklärung im Februar 2022, die eine Art Manifest darstellt, in dem die beiden eurasischen Mächte ihren gemeinsamen Anspruch deutlich machen, eine neue Weltordnung zu errichten. «Einige Akteure», heisst es dort, «behindern die Entwicklung und den Fortschritt der Menschheit», in unmissverständlicher Anspielung auf die USA und ihre Verbündeten. China und Russland hingegen seien «als Weltmächte» bereit, «Verantwortung zu übernehmen», um eine «wohlhabendere, stabilere und gerechtere Welt aufzubauen».

Das gemeinsame Manifest wurde knapp drei Wochen vor Russlands Grossangriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 veröffentlicht – zu einem Zeitpunkt, als Washington schon fast die Hoffnung aufgegeben hatte, die russische Kriegsmaschinerie noch stoppen zu können, und überall in westlichen Hauptstädten verzweifelte letzte diplomatische Bemühungen unternommen wurden, Russland doch noch von der Invasion abzubringen. Offenkundig hielt all dies die chinesische Seite nicht davon ab, gemeinsam mit Russland den Kampf um eine neue, postamerikanische Weltordnung zu verkünden.

Dass Xi Jinping dann ein Jahr später, im März 2023, nach Moskau reiste, machte deutlich, dass China Russlands Angriffs- und Eroberungskrieg gegen die Ukraine, der zugleich eine Kampfansage gegen den Westen war, offen unterstützte. Das schlug sich auch nieder in der Lieferung sogenannter Dual-Use-Güter, insbesondere Halbleiter und Maschinenteile, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Im April 2024 erklärte US-Aussenminister Antony Blinken: «Russland hätte Mühe, seinen Kampf gegen die Ukraine ohne Chinas Unterstützung» weiterzuführen.

Gegen Amerikas Dominanz

Dabei ist der chinesischen Seite klar, dass es Russland um mehr geht als um die Ukraine. Im gemeinsamen Manifest vom Februar 2022 heisst es, China stehe den Vorschlägen Russlands zur «Schaffung langfristiger Sicherheitsgarantien in Europa wohlwollend gegenüber und unterstützt sie». Das bezieht sich auf die zwei Ultimaten, die Moskau im Dezember 2021 an die USA und die Nato geschickt hat und in denen die USA auf-gefordert wurden, sich aus Ost- und Ostmitteleuropa weitgehend zurückzuziehen. Russlands Ziel, sich die Nachbarschaft wieder zu unterwerfen, wie im Kalten Krieg, wird in Peking offenbar mit Wohlwollen gesehen. Kein Wunder: China bemüht sich in sehr ähnlicher Weise darum, seinerseits eine Zone des privilegierten Einflusses und der Kontrolle zu schaffen: Taiwan zu unterwerfen und das Südchinesische wie das Ostchinesische Meer unter chinesische Vorherrschaft zu bringen.

Es wird immer deutlicher: Russland und China wollen nicht einfach nur ihre Position innerhalb der bestehenden Ordnung verbessern, wie man im Westen lange gemeint hat. Sie wollen weitaus mehr: eine grundlegend andere Weltordnung. Zum einen geht es ihnen darum, amerikanische Dominanz zurückzudrängen, um ihre eigene Macht und Vorherrschaft in ihrer Nachbarschaft wie auch auf globaler Ebene auszuweiten. Zum anderen geht es ihnen darum, die Grundprinzipien der bestehenden Weltordnung auszuhebeln. Anstelle einer prinzipiellen Gleichberechtigung der Staaten, wie sie die Charta der Vereinten Nationen von 1945 festschreibt, soll eine imperiale Ordnung etabliert werden. Mit seinem Angriffs- und Eroberungskrieg gegen die Ukraine macht Russland das in Europa deutlich, während China immer massiveren militärischen Druck gegen Taiwan anwendet und eine schleichende Annexion des Südchinesischen Meeres betreibt.

Dass Russland und China die bestehende Ordnung zunehmend attackieren und die führende Schutzmacht dieser Ordnung, Amerika, zurückzudrängen suchen, hat nicht nur mit den machtpolitischen Ambitionen ihrer Anführer zu tun. Es liegt vor allem daran, dass für sie weitaus mehr auf dem Spiel steht: Es geht um ihr Überleben. Was die herrschenden Eliten in Russland und China dazu bringt, den hohen Preis für die Konfrontation mit Amerika und seinen Verbündeten zu zahlen, ist nicht nur die Hoffnung auf noch mehr Macht und noch mehr Reichtum. Es ist vor allem die Angst davor, alles zu verlieren – die Angst vor einer demokratischen Revolution, die sie hinwegfegen könnte. Xi und Putin kämpfen für die Stabilität der autokratischen Herrschaft, von der ihr Status und womöglich ihre Existenz abhängen. Dieses Motiv erst gibt der neuen globalen Auseinandersetzung ihre Unerbittlichkeit und Härte.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem neu erschienenen Buch des geopolitischen Analysten von NZZ Pro, Ulrich Speck: «Der Wille zur Weltmacht. Wie Russland und China die freiheitliche Ordnung attackieren», soeben erschienen bei Droemer Knaur.

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