In der Schweiz gilt laut Bundesverfassung immer noch die Wehrpflicht. Doch der Zivildienst ist zum Massenphänomen geworden. Die Betroffenen sind oft nicht Gewissenstäter, sondern Konsumenten eines Wunschkonzerts. Das sollte sich ändern.
Glückliche Schweiz. In Europa und im Nahen Osten wüten Kriege, doch Schweizer können sich empören über den «Angriff auf den Zivildienst», den der Nationalrat diese Woche gewagt hat. Die bürgerliche Mehrheit will den Zivildienst etwas weniger attraktiv machen – vor allem für jene, welche die Rekrutenschule (RS) schon absolviert haben und danach mit dem Zivildienst flirten.
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Bei solchen Wechslern ist aus Sicht der Armee die militärische Ausbildung der Betroffenen weitgehend verschwendetes Geld. Rund ein Drittel der Zulassungen in den Zivildienst betrifft Personen mit abgeschlossener RS. Der Nationalrat beschloss sechs Massnahmen – darunter eine Mindestvorgabe von 150 Zivildiensttagen auch für ehemalige Armeeangehörige mit kurzer Restdienstzeit. Ein linkes Referendum ist schon angedroht.
Die Kritiker haben nicht unrecht, wenn sie auf die Bedeutung des Zivildienstes für die Gesellschaft verweisen. Zu den Arbeitgebern gehören unter anderem Altersheime, Schulen, Spitäler und Naturschutzorganisationen. Doch die Schweiz kennt laut der Bundesverfassung immer noch die Wehrpflicht. Die Einführung eines Zivildienstes ist als Ausnahme für jene Bürger gedacht, die aus Gewissensgründen keinen Militärdienst leisten können oder wollen.
Doch mit der Abschaffung der Gewissensprüfung 2008 ist der Zivildienst zum Massenphänomen geworden. An die Stelle der Gewissensprüfung trat der «Tatbeweis» – ein Zivildienst, der total 1,5-mal so lange dauert wie der Militärdienst. Die Zahl der jährlichen Zivildienst-Zulassungen hat sich seither von etwa 1500 auf 5000 bis 7000 vervielfacht. Zurzeit gibt es rund 58 000 Zivildienstpflichtige. Die Grösse der «Zivildienst-Armee» entspricht damit schon etwa 40 Prozent der «richtigen» Armee. Das war nicht die Idee der Bundesverfassung.
Das Problem ist nicht die Abschaffung der Gewissensprüfung. Der Nationalrat will nun zwar über deren Wiedereinführung diskutieren, aber die von linker Ratsseite geäusserte Beschreibung dieses Instruments ist treffend: «bürokratischer Schwachsinn». Das Problem liegt anderswo: Der Zivildienst ist im Vergleich zum Militärdienst zu attraktiv.
Ein Zivildienst mit der anderthalbfachen Länge des Militärdienstes erscheint zwar auf den ersten Blick wie ein glaubwürdiger Tatbeweis. Aber das ist er nicht. Denn der Militärdienst ist bezüglich verlangter Frustrationstoleranz bei weitem nicht gleichzusetzen mit einem gleich langen Zivildienst, wie eine vom Bund bestellte Studie 2024 bekräftigte: Zivildienstler können ihren Einsatzort selbst suchen; sie haben zeitlich weit mehr Flexibilität zur Abstimmung mit Beruf, Studium und privaten Plänen; die Arbeit erscheint oft beruflich nützlicher und generell stärker sinnstiftend; Zivildienstler können typischerweise jeden Abend nach Hause; der Umgangston und die Kleidung sind angenehmer; es gibt kein Risiko, zum «Weitermachen» verdonnert zu werden; und die jährliche Schiesspflicht gibt es auch nicht.
Die Bundesverfassung sieht kein Wunschkonzert vor, doch dies ist es geworden. Eine kleine Lüge genügt: Man muss nur deklarieren, dass man den Militärdienst nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könne. Den Rest erledigt der Tatbeweis. Wer nicht lügen möchte und getreulich Militärdienst leistet, kann sich für dumm verkauft fühlen. Die naheliegende Antwort auf diese Ungerechtigkeit hat der Nationalrat diese Woche nicht gewagt: Man erhöht die Glaubwürdigkeit des Tatbeweises durch generelle Verlängerung der Zivildienstpflicht vom Faktor 1,5 mindestens auf den Faktor 2.
Wer für dieses Szenario einen massiven Einbruch beim Zivildienst zulasten der Gesellschaft voraussagt, bekräftigt damit, dass viele Zivildienstler Konsumenten eines Wunschkonzerts statt Gewissenstäter sind. Jede Erschwerung des Zivildienstes riskiert allerdings zusätzliche Ausweichmanöver via Zeugnis eines freundliches Arztes. Zurzeit werden bei der Aushebung jedes Jahr rund 30 Prozent der Pflichtigen als dienstuntauglich eingestuft. Diese Einstufung gilt für den Militärdienst ebenso wie für den Zivildienst (jedoch nicht unbedingt für den Zivilschutz). Sinnvoll wäre angesichts der Vielzahl möglicher Zivildienste die Einführung einer deutlich erhöhten Hürde für die Zivildienstuntauglichkeit.
Handlungsbedarf hat auch die Armee. Militärdienst ist kein Ferienlager. Doch es gibt Möglichkeiten, den Armeedienst attraktiver zu machen. Die erwähnte Studie von 2024 hat einige Stichworte geliefert – wie etwa flexiblere Dienstzeiten, Verknüpfungen von militärischen Kaderausbildungen mit zivilen Diplomen und einen effizienteren Personaleinsatz.
Wer RS und WK erlebt hat, weiss, was Warterei und Personalverschwendung bedeuten. Das Milizpersonal ist heute für die Armee «zu billig», denn diese kann einen Grossteil der Personalkosten der durch Lohnprozente finanzierten Erwerbsersatzordnung (EO) und der Wirtschaft anhängen. Die EO-Kosten für Militärdienste betragen über 500 Millionen Franken pro Jahr. Einen stärkeren Effizienzanreiz gäbe die Finanzierung der vollen Personalkosten über das reguläre Armeebudget.
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