Stand: 13.05.2025, 11:10 Uhr
Von: Xaver Eichstädter
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Zuerst musste das Seniorenheim wegen Personalmangels schließen, jetzt geht es auch mit der sozialtherapeutische Einrichtung von „Domus Mea“ in Tittmoning zu Ende - weil manche Zimmer 0,7 bis 1,1 Quadratmeter zu klein seien. Die Heimaufsicht im Landratsamt hält dagegen, doch 65 Bewohner und rund 115 Mitarbeiter hängen in der Luft.
Tittmoning - Ein einfaches Holzschild mit etlichen Unterschriften und zwei großen Zahlen halten Steffi Springl und Monika Aigner in die Höhe: 0,7 - an dieser Quadratmeterzahl hänge momentan das Schicksal ihres Arbeitgebers „Domus Mea“ in Tittmoning. Rund 110 Angestellte, sechs Lehrlinge und 65 Patienten sind es, die nicht wissen, wie es weitergeht. In der dortigen sozialtherapeutischen Einrichtung leben Menschen, die mit Schizophrenie, einer Drogensucht oder Persönlichkeitsstörungen zu kämpfen haben. Die einen verlieren wohl ihre Arbeitsplätze, die anderen ihre Heimat und ihre Bezugspersonen.
„Domus Mea“ in Tittmoning ist insolvent. Es ist eine Verkettung unglücklicher Umstände, dass man nun bei jenen 0,7 bis 1,1 Quadratmetern landet. Um so viel sind zehn Zimmer im Haus am Lindenweg jeweils zu klein - zumindest, wenn es nach der „Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen“ (FQA) am Traunsteiner Landratsamt geht. Eine Ausnahme will man nicht machen. Doch auf die Belegung der zehn Zimmer ist man wirtschaftlich angewiesen, sagt Geschäftsführer Martin Nell beim Besuch von chiemgau24.de. Jetzt müssen für alle 65 Patienten neue Heime gefunden werden, vielleicht auch irgendwo am anderen Ende Bayerns: „Sie haben richtig schlimme Ängste“, so Nell.
Im Sommer 2023 begann sich die Abwärtsspirale zu drehen. Fürs Seniorenzentrum, das „Domus Mea“ damals auch noch betrieb, ließen sich keine neuen Fachkräfte mehr finden. Anderthalb Jahre lang war man auf Zeitarbeitsfirmen angewiesen, bis heuer Ende Februar Schluss war. Das Seniorenzentrum am Lindenweg musste zumachen. Die Idee von Geschäftsführer Martin Nell: die Bewohner des zweiten Hauses von „Domus Mea“, der offene Wohnbereich an der Gabelsberger Straße, fünf Fußminuten entfernt, sollten in den freigewordenen Teil am Lindenweg ziehen. Dann könnte man sich die Pacht an der Gabelsberger Straße sparen, die Patienten hätten am Lindenweg mehr Wohn- und Lebensqualität - „und nur so wäre es auch wirtschaftlich“.
Mehr zum ThemaNach den Attentaten in Deutschland: Hängen psychische Krankheiten und Gewalt zusammen?Auch der Bezirk Oberbayern, zuständig für Patienten der Einrichtung, hätte den Umzug an den Lindenweg „sehr befürwortet“, so Domus-Mea-Geschäftsführer Nell: „Die suchen händeringend nach Plätzen, wie wir sie haben.“ Aber die Rechtsaufsicht liegt beim Landratsamt und das beruft sich auf das Pflege- und Wohnqualitätsgesetz: „Wir sind verpflichtet, gesetzlich vorgegebene Standards durchzusetzen - insbesondere dort, wo Mindestanforderungen die Lebensqualität der betreuten Menschen betreffen.“ Und dazu gehörten eben auch Mindestgrößen von 14 Quadratmetern für Einzelzimmer bei „Neueröffnungen“, wie es auch am Tittmoninger Lindenweg eine gewesen wäre.
Aber nicht nur das: Schon „im Vorfeld“ habe man den Betrieb auch auf „dringenden Investitionsbedarf“ beim Brandschutz hingewiesen. „Die Standards dienen dem Schutz der Bewohner, nicht der Bürokratie“, so Michael Reithmeier, Sprecher des Landratsamts, gegenüber chiemgau24.de. Und überhaupt habe der Insolvenzverwalter die Entscheidung getroffen, den Betrieb zu schließen, nicht die Behörde. Auch Martin Nell räumt Nachholbedarf beim Brandschutz ein: „Aber wir haben jetzt die Zusage des Eigentümers, dass er 1,5 Millionen Euro in das Haus stecken würde.“ Seit dem letzten Zusammentreffen mit der FQA am 22. April steht für Nell jedoch fest: „Nichts geht mehr. Jetzt bleibt uns nur noch übrig, die Bewohner abzuverlegen.“
Manche von ihnen leben schon seit über 30 Jahren bei „Domus Mea“, manche sind auch in Tittmoning geboren und aufgewachsen. „Einer unserer Bewohner ist schon in Hungerstreik getreten, ein anderer äußerte Suizidgedanken“, so Liane Neudert, die in Tittmoning die therapeutische Leitung innehat. Nur für drei hat man bisher neue Plätze gefunden. Es sind Patienten „in der Geschlossenen“, die unter Schizophrenie oder Psychosen leiden und durch Gerichtsurteile bei „Domus Mea“ landen. „Manche sind so lange da, bis sie hier alt werden“, erzählt Neudert. „Im Idealfall kommen sie in unseren ‚offenen Bereich‘, wo es nur noch Unterstützung und Betreuung im Alltag braucht.“
Mehr zum ThemaRaublinger tötet Vater: Paranoide Schizophrenie als Auslöser – doch was ist das? Experte klärt aufNatürlich könnten sie bei „Domus Mea“ auch den Klageweg beschreiten. „Aber das dauert. Und die Zeit haben wir nicht.“ Darum kommt auch eine Vergrößerung der Zimmer - inklusive Statiker und Architekt - nicht infrage. Noch bis Juni sind die Löhne der Angestellten und die laufenden Kosten gesichert. „Der Betrieb muss weitergehen, bis der letzte verlegt ist“, so Geschäftsführer Martin Nell. Zur Not müssten Akutkliniken die Bewohner aufnehmen, die ohnehin schon an ihren Kapazitätsgrenzen sind - „und das sind Kliniken und keine Wohnheime“. Auch wenn die ersten schon gehen, die meisten Mitarbeiter halten der sozialtherapeutischen Einrichtung die Stange - trotz des nahenden Endes. „80 Prozent wollen durchhalten bis zum Schluss. Wir sind wie eine große, bekannte Familie im Ort.“ (xe)
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