Stand: 17.04.2025, 11:13 Uhr
Von: Lars Becker
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Ein ehemaliger Häftling erhebt heftige Vorwürfe gegen die Justizvollzugsanstalt (JVA) Bernau. Insassen inklusive ihm selbst sollen zu früh entlassen worden sein, die Resozialisierung in der unter den Insassen als „grüne Hölle“ bekanntem Knast mangelhaft ablaufen. Was ist dran an den Aussagen? Die JVA antwortet.
Bernau – Wer seine Haftstrafe in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) abgesessen hat, möchte normalerweise nicht in der Öffentlichkeit darüber reden. Bei Mike Berghauser (Name geändert) ist das anders. Er wendet sich von selbst an das OVB, weil er auf nach seiner Beobachtung bestehenden „Missstände“ in der JVA Bernau hinweisen will. Es sind nicht die ersten Vorwürfe gegen das Gefängnis im Chiemgau.
Im vergangenen Jahr hatte das OVB exklusiv darüber berichtet, dass abgelaufene Lebensmittel und sogar „Fisch mit Maden“ an Gefangene verteilt worden sein sollen. Mike Berghauser bestätigt die Essens-Probleme im Gespräch. Dann ist da noch der spektakuläre Fall Jaworski, in der es um Anschuldigungen der Verweigerung medizinischer Hilfe in der JVA Bernau geht. Entkräftet wurde die heftige Kritik („Kümmern sich einen Dreck um uns“) vor Gericht nicht.
Mehr zum Thema„Kümmern sich einen Dreck um uns“: Vorwürfe gegen JVA Bernau –So urteilt das Gericht im Fall JaworskiNun folgt also das nächste Kapitel der Saga um vermeintliche Fehler in der „Grünen Hölle“, wie der Knast intern genannt wird. Mike Berghauser hat in den Jahren 2023 und 2024 gut 17 Monate in Bernau verbracht. Finaler Auslöser für seinen Gang in die Öffentlichkeit war, dass ihm im Ende Januar 2025 plötzlich ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Karlsruhe ins Haus flatterte. „Es hat bei meiner Entlassung aus Bernau geheißen, dass ich keine Bewährung, keine Führungsaufsicht habe und ich deshalb ein komplett freier Mensch bin. In dem Schreiben stand dann aber, dass von einer Ersatzfreiheitsstrafe noch 70 Euro offen wären und ich deshalb gar nicht hätte entlassen werden dürfen, solange die nicht beglichen sind.“
Berghauser bekam bei einem Anruf bei der Staatsanwaltschaft die Ansage, dass er entweder die 70 Euro bezahlen oder ersatzweise nochmal sieben Tage ins Gefängnis abmarschieren müsse: „Da dachte ich nur: ‚Wie kann das sein, dass ihr drei Monate nach meiner Entlassung ankommt und gleich wieder mit Gefängnis droht?‘ Die Antwort war: Weil ich gar nicht hätte entlassen werden dürfen.“ Laut Berghauser habe die Staatsanwaltschaft die Schuld auf die JVA Bernau geschoben. Bei einem Anruf in seinem ehemaligen Gefängnis wurde ihm beschieden, dass die Schuldfrage nicht eindeutig zu klären wäre. Eventuell sei durch menschliches Versagen die offene Summe nicht richtig berechnet worden, weil das nicht alles elektronisch gemacht werde. So zumindest seine Version des Gesprächs.
Mehr zum ThemaMit Buttermesser durch die Gefängnismauer – eine „Panikreaktion“? Ex-Insasse erneut verurteiltNicht nur der Ex-Häftling fragt sich, wie das passieren konnte. Und behauptet, dass er beileibe kein Einzelfall einer zu frühen Entlassung aus der JVA Bernau sei. „Ich habe einen anderen Fall mitbekommen, der sogar sieben Monate zu früh entlassen wurde. Der hatte einen Bewährungswiderruf, der im System stand und schon rechtskräftig war. Es fehlten nur noch die Vollstreckungsunterlagen. Aber er wurde entlassen. Wie kann so etwas passieren?“
Vier Wochen später sei dem vorzeitig aus dem Knast entlassenen Mann, der in der JVA Bernau im gleichen Haus wie Berghauser untergebracht gewesen sei, dann in Freiheit „der neue Stellungsantritt“ ins Haus geflattert. Rein, raus, rein – der Mann musste zurück hinter Gitter.
Klingt unglaublich und könnte für die Öffentlichkeit zum Beispiel im Fall von Gewalt- oder Sexualstraftätern auch gefährlich werden. Dennoch werden die Vorwürfe nicht grundsätzlich dementiert, auch wenn die JVA Bernau wegen der Schweigepflicht nichts zu speziellen Fällen sagen kann. „Beginn und Ende einer rechtskräftig ausgesprochenen Haftstrafe legt die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde fest. Nur wenn einer Justizvollzugsanstalt ein ‚Aufnahmeersuchen‘ der zuständigen Stelle vorliegt, darf sie eine Person zum Vollzug von Freiheitsstrafe aufnehmen. Ist das Ende der Strafe erreicht, so ist der Inhaftierte zu entlassen, auch wenn bereits eine weitere Haftstrafe im Raum steht“, stellt Jürgen Burhardt als Leiter der JVA Bernau auf Anfrage des OVB zum Procedere fest.
Mehr zum ThemaNach Kugelschreiber-Attacke in JVA Bernau: Muss 31-jähriger Angeklagter jetzt länger in Haft bleiben?Anders könne nur verfahren werden, wenn für eine Anschlusshaftstrafe rechtzeitig vor der Entlassung das neue Aufnahmeersuchen vorliegt. Burghardt: „Die Details dieses Verfahrens sind in der Bayerischen Vollzugsgeschäftsordnung geregelt. Die Justizvollzugsanstalt kann in entsprechenden Fällen also nur um die Übersendung der Unterlagen bitten, aber nicht eigenmächtig über die weitere Haft befinden.“
Nicht nur Berghauser überzeugt dieses Vorgehen nicht. Der Ex-Häftling regt sich aber auch über die aus seiner Sicht ungenügende Unterstützung bei der Resozialisierung von Häftlingen auf. Er berichtet von einem abgelehnten Sonderurlaubsantrag zur Vorbereitung seiner Entlassung. Häftlinge dürfen dabei die JVA für eine begrenzte Zeit verlassen, um zum Beispiel Wohnungen zu besichtigen oder Vorstellungsgespräche bei potenziellen Arbeitgebern zu absolvieren.
Er habe den Antrag lange vor dem gewünschten Termin gestellt, aber eine (negative) Entscheidung habe er erst bekommen, als der Urlaub schon lange hätte beginnen sollen. Auch seine beantragte Verlegung in den offenen Vollzug sei so lange verschleppt worden, bis er den Antrag zurückgezogen habe. „So ist es nicht nur bei mir häufig in der JVA Bernau gelaufen. Resozialisierung wird einfach nicht ernst genug genommen – dabei gibt es im Gefängnis eben nicht nur Mörder, Schwerverbrecher oder Schleuser. Sondern es sitzen auch Menschen wegen kleinerer Vergehen ein“, sagt Berghauser.
Nach seiner Meinung sei die Organisation im Gefängnis im Chiemgau schlecht, wenn ein Gefangener seinen Mund aufmache und auf seine Rechte verweise, dann habe „man richtig verkackt: Der Gefangene ist für die Juristen und die Beamten in der JVA quasi selbst schuld und hätte er keine Scheiße gebaut, wäre er jetzt nicht in dieser Situation.“
Gefängnischef Burghardt weist die Kritik zurück: „Über frist- und formgerecht gestellte Urlaubsanträge wird entschieden, sobald die hierfür notwendigen, tatsächlichen Informationen vorliegen, also sogenannte ‚Entscheidungsreife‘ besteht. Gleiches gilt für die Entscheidung über eine Verlegung in eine Einrichtung des offenen Vollzuges. Gefangene haben dabei auch die Möglichkeit, eine vermeintliche Untätigkeit der Justizvollzugsanstalt gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Resozialisierung von Gefangenen ist eine zentrale Aufgabe des bayerischen Justizvollzugs (Art. 2 BayStVollzG). Der bayerische Justizvollzug unternimmt große Anstrengungen und tätigt hohe Investitionen für die Resozialisierung.“
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