Geopolitik: Neun Staaten werden die Weltordnung der Zukunft prägen


Nine states are shaping the future world order, prioritizing economic strength, foreign policy ambitions, and military capabilities over the previous era's focus on globalization.
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Neun Staaten werden die Weltordnung der Zukunft prägen

In der Epoche der Geopolitik zählen Wirtschaftskraft, aussenpolitische Ambitionen und militärische Fähigkeiten. Darauf sind manche Länder besser vorbereitet als andere.

Dieser sowjetische Panzer wurde nach dem Unglück von Tschernobyl in der Stadt Pripjat zurückgelassen. Heute träumt Putin von der alten Grösse Russlands. Das Foto stammt aus dem April 2025. Reuters

In der Epoche der Globalisierung – in den drei Jahrzehnten nach dem Kalten Krieg – verblasste die Bedeutung von Machtpolitik, militärischer Macht und der Konkurrenz der Staaten. «Es ist die Wirtschaft, verdammt» («It’s the economy, stupid») lautete der die Epoche prägende Satz des US-Präsidenten Bill Clinton im Jahr 1992.

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Im Jahr 2006 erschien dann ein Buch des «New York Times»-Kolumnisten Thomas Friedman mit dem Titel «Die Welt ist flach» – und wurde zum Bestseller. Die These lautet: Mit der sich ständig vertiefenden wirtschaftlichen Interdependenz der Staaten, gefördert durch das Internet und andere technologische Neuerungen, verlieren die Grenzen ihre Bedeutung.

Nach der harten machtpolitischen Konfrontation des Kalten Krieges zwischen zwei waffenstarrenden Blöcken, die stets am Rande eines die Existenz der Menschheit bedrohenden dritten Weltkriegs zu stehen schienen, hatte sich die Menschheit endlich eines Besseren besonnen und sich offenbar auf den Pfad begeben, den Immanuel Kant mit seinem «Ewigen Frieden» schon 1795 vorgezeichnet hatte: jenen der Überwindung von nationalen Egoismen und Eitelkeiten in einem künftigen «Föderalismus freier Staaten» und damit der Überwindung von Konflikt und Krieg.

Wirtschaftliche und gesellschaftliche Globalisierung, die Aufhebung von Grenzen und globales Regieren («global governance») waren die Leitideen dieser Jahrzehnte. Von der «neuen Weltordnung» George H. W. Bushs von 1991 bis hin zu Barack Obamas Wette auf die G-20 als eine Quasiweltregierung – die den Westen ebenso einschloss wie China und Russland – zog sich die Hoffnung durch auf die neue, vernünftige Gestaltung einer internationalen Ordnung, die sich endgültig von einer Vergangenheit verabschiedet haben würde, welche von nationalen Ambitionen und ihrer Durchsetzung mit militärischer Gewalt geprägt war.

Die neue Epoche der Geopolitik

Der endgültige Abschied von dieser Vision kam mit dem Februar 2022, als Russland, das nach westlichen Vorstellungen ein Pfeiler dieser globalen Neuordnung sein sollte, in einem klassischen Angriffs- und Eroberungskrieg den friedlichen Nachbarn Ukraine überfiel. In einem zweiten Akt stellte sich China hinter Russland und unterstützte es sowohl diplomatisch als auch materiell. Damit war die Vision der Globalisierungsepoche endgültig obsolet geworden.

Jetzt wird der Blick frei auf das neue Spielfeld, das dem alten stärker ähnelt, als es die Beschwörer des Fortschritts in den vergangenen Jahrzehnten erhofft hatten. Erneut sind nationale Ambitionen und militärische Fähigkeiten ins Zentrum des internationalen Geschehens gerückt und haben den Primat der Wirtschaft und die globale Zusammenarbeit verdrängt.

Das schafft Probleme insbesondere für diejenigen Länder, die in der Epoche der Globalisierung wie Fische im Wasser schwammen: die Europäer ebenso wie erfolgreiche asiatische Länder wie Japan, Südkorea oder Taiwan. Sie alle hatten abgerüstet und ihre ganze Energie auf ihre Position in der Weltwirtschaft fokussiert.

In der jetzt anbrechenden neuen Epoche der Geopolitik haben diese Länder erhebliche Schwierigkeiten. Sie drohen unter die Räder zu geraten. Von den Grossmächten werden sie zunehmend als Objekte betrachtet, ja vielfach als Einflusszonen, um die die Grossen ringen.

Neues Ranking der Staaten

Das Ranking der Staaten vollzog sich in der Epoche der Globalisierung nach der Grösse des Bruttoinlandprodukts; in der jetzt angebrochenen Epoche der Geopolitik ist der Massstab von Macht und Einfluss das Verteidigungsbudget, in Kombination mit den Gestaltungsambitionen der politischen Führung.

Wir sehen heute eine Reihe von Staaten, die durch aktive Gestaltung ihre Umgebung prägen und durch die Interaktion untereinander die kommende Weltordnung etablieren. Sie liegen im Wesentlichen in Eurasien, also dort, wo sich der Grosskonflikt unserer Zeit abspielt: Russlands und Chinas Kampf um Vorherrschaft.

Diese Staaten – die «Gestaltungsmächte» – haben strategische Ziele, die sie verfolgen, und den Willen, ihre Nachbarschaft zu prägen und zu formen. Sie sehen sich als weitgehend unabhängig an und sind überzeugt davon, dass nur eine starke Aussen- und Sicherheitspolitik ihr Überleben sichern und für ein für sie vorteilhaftes Umfeld sorgen kann. Dazu sind sie bereit, erhebliche Summen in die Verteidigung zu investieren. Sie haben eine aktivistische Führung und hohe Militärbudgets.

Die neun Gestaltungsmächte

In einer eigenen Liga spielen die USA und China. Amerika dürfte weiterhin in allen Kategorien der Macht führend sein. China aber steht auf dem zweiten Platz. Es gilt in amerikanischen Sicherheitskreisen als «near-peer competitor», also als Wettbewerber, der sich annähernd auf Augenhöhe befindet. Sowohl militärisch, technologisch und ökonomisch als auch in Bezug auf die Zahl der Verbündeten und Partner sind die USA noch deutlich dominant, aber China holt in einigen Bereichen rasch auf.

Auf dem dritten Platz befindet sich Russland, das wie die USA und China globale Ambitionen hat, diesem Anspruch aber nur mit Blick auf sein Atomwaffenarsenal gerecht wird. Darüber hinaus ist Russland eine regionale Macht mit Schwerpunkt in Osteuropa sowie teilweise erheblichem Einfluss in Zentralasien, im Südkaukasus, in Nahost und Afrika. Im Gegensatz zu den USA und China fehlt Russland weitgehend die technologische und ökonomische Stärke; dies wird durch Einkünfte aus Bodenschätzen teilweise kompensiert.

Dass diese drei an der Spitze stehen, in der Superliga, macht nur schon ein Blick in die Zeitung deutlich. Wer aber kann darüber hinaus als «Gestaltungsmacht» gelten? Wer agiert über seine Grenzen hinaus mit einem klaren Ordnungsanspruch? Insbesondere sechs Mittelmächte erfüllen die oben angeführten Kriterien.

Im pazifischen Asien sind das insbesondere Indien und Japan.

Indien gilt vielen als kommende Supermacht und wird zunehmend umworben. Doch es gibt viele Probleme, wenn es darum geht, das ökonomische Potenzial des Landes zu entfesseln. Aussenpolitisch bleibt es zurückhaltend. Indien ist neben Japan der grosse Antagonist Chinas in Asien, aber es bemüht sich, diese Spannungen auf bilateraler Ebene niedrig zu halten. Zugleich positioniert sich Indien aber zunehmend: mit einer enger werdenden, auch technologischen Partnerschaft mit den USA und wachsendem Interesse an Japan, den Philippinen und den Asean-Ländern, die sich allesamt durch Chinas Expansion bedroht sehen.

Japan verlässt sich zwar weiterhin auf die Sicherheitspartnerschaft mit den USA, zu der es angesichts der jahrzehntelang ausbleibenden Investitionen in die Verteidigung keine Alternative gibt. Doch zugleich entwickelt es zunehmend eine eigene Verteidigungsfähigkeit, ausgelöst sowohl durch chinesische Expansion als auch von Zweifeln an Amerikas Zuverlässigkeit. Tokio hält sich sehr zurück mit Deklarationen, um China, mit dem es einen maritimen Grenzkonflikt, aber auch enge Wirtschaftsbeziehungen hat, nicht zu provozieren. Zugleich aber baut es strategisch die Beziehung zu regionalen Partnern wie Südkorea, den Philippinen und Indien aus, um China einzudämmen.

Die dritte Gruppe von Ländern sind Iran, Israel, die Türkei und Saudiarabien. Alle vier prägen das «great game» um die Vorherrschaft im Nahen Osten. Alle vier mischen sich in regionale Konflikte militärisch ein, um das regionale Umfeld zu ihren Gunsten zu gestalten.

Iran hat in den letzten Jahren versucht, das reduzierte amerikanische Engagement in der Region zu nutzen, um sich selbst an die Stelle des Hegemonen zu setzen. Die wichtigsten Gegenspieler sind Saudiarabien und Israel. Letztgenanntes hat Iran in letzter Zeit empfindliche Schläge zugefügt und dessen regionale Stellung erheblich verschlechtert. Saudiarabien tendiert dazu, mit den USA und Israel eine Sicherheitsallianz einzugehen, und wartet auf den passenden Zeitpunkt.

Die Türkei hat ihrerseits hegemoniale Ambitionen, aber auch erhebliche Sorgen, was ihre Stellung in einer höchst unruhigen Region angeht: im Norden und im Nordosten Russlands Expansion, im Südwesten das ebenfalls aggressive Iran, dann Syrien und das Kurdenproblem. All dies bringt Ankara dazu, sich in die Konflikte der Region massiv einzumischen und auf eigene Dominanz zu setzen.

Und Europa?

In Europa gibt es eine Reihe von Mittelmächten, die ebenfalls Kandidaten für den Status «Gestaltungsmacht» sein könnten: Frankreich, Grossbritannien, Deutschland, vielleicht auch Polen. Doch die Europäer sind in den vergangenen Jahren von der Führungsmacht Amerika noch mit schwierigen Entscheidungen verschont worden.

Die Entscheidung, die Ukraine massiv militärisch zu unterstützen, gegen den Aggressor Russland, hat Washington getroffen, das auch die Allianz mit den Europäern angeführt hat. Auch in den laufenden Verhandlungen um einen Waffenstillstand spielen die Europäer nur eine unterstützende Rolle für die USA, die den Prozess organisieren und kontrollieren. Und selbst wenn die Rüstungsbudgets in Europa gewachsen sind: Ein massiver Aufwuchs hat bisher nur an der «Ostflanke» der Nato stattgefunden.

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