Bereits nach wenigen Kriegstagen steht Iran militärisch mit dem Rücken zur Wand. Das Ayatollah-Regime erleidet eine gewaltige Blamage. Aber sein Nuklearprogramm ist nicht vernichtet. Iran hat nun erst recht Grund, Atombomben zu entwickeln.
Mit dem Überraschungsangriff auf Iran hat Israel einen Kurs eingeschlagen, der die Machtverhältnisse im Nahen Osten tiefgreifend verändern wird. Historische Vergleiche sind immer heikel, aber bereits jetzt lassen sich Parallelen zum Wendejahr 1967 erkennen: Wie damals im Sechstagekrieg gegen eine Phalanx arabischer Staaten hat Israel am Freitag seinen Gegner überrumpelt und in einem Blitzkrieg erdrückende militärische Überlegenheit demonstriert.
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Die seit dem Hamas-Massaker vom Oktober 2023 offene Frage, ob Israel auch gegen die Schutzmacht der palästinensischen Terroristen vorgehen oder das Risiko eines Regionalkrieges scheuen würde, ist nun beantwortet: Die Regierung Netanyahu geht aufs Ganze. Doch sie wagt diesen Schritt nicht überstürzt, sondern erst nach einer fundamentalen Änderung der strategischen Konstellation: Die einst gefürchtete «Achse des Widerstandes» – Irans Bündnissystem zwischen Mittelmeer und Golf – liegt in Trümmern. Seit dem Sturz des Asad-Regimes in Syrien, der Ausschaltung der Hizbullah-Führung in Libanon und der Schwächung der Huthi-Armee in Jemen steht Iran weitgehend allein da.
So hat sich auch eine alte Gewissheit von Nahostexperten aufgelöst. Früher galt es als wahrscheinlich, dass Israel mit einem Militärschlag gegen Irans Atomanlagen einen regionalen Flächenbrand auslösen würde. Heute erscheint dies als eher abwegiges Szenario. Der Hizbullah hat bereits klargemacht, dass er seine Teheraner Verbündeten im Stich lassen wird. Iran selber verrät grösste Mühe, bedeutende Gegenschläge gegen die Israeli zu führen. Zudem werden nun seine Raketenstützpunkte und -fabriken schrittweise durch die israelische Luftwaffe zerstört. Seine militärischen Optionen sind begrenzt. Griffe das Regime in Teheran amerikanische Stützpunkte in der Region, Tanker im Persischen Golf oder saudische Erdölanlagen an, wäre dies ein strategisches Eigentor.
Ungeachtet der israelischen Erfolge in den ersten vier Kriegstagen stellt sich eine doppelte Frage: Ist diese Militäraktion gerechtfertigt, und wird sie langfristigen Erfolg haben? Vordergründig ist die erste Frage einfach zu beantworten: Israel missachtet mit seinem kriegerischen Vorgehen das Völkerrecht, aber verfügt über gewichtige Argumente, um seine Aktion dennoch zu legitimieren. Die imaginäre «internationale Gemeinschaft» als Hüterin dieses Völkerrechts hat im Fall Iran versagt. Über zwei Jahrzehnte hinweg gab es höchstens halbherzige Versuche, das Teheraner Ayatollah-Regime auf dem Weg zur Atombombe zu stoppen.
Obwohl Iran als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags – anders als das Nichtmitglied Israel – kein Recht auf eine nukleare Bewaffnung hat, hat es um die Jahrtausendwende ein militärisches Atomprogramm verfolgt, für das es nie zur Rechenschaft gezogen wurde und dessen Bestandteile es bis heute verheimlicht. Seit einer Kurskorrektur im Jahr 2002 verfolgt das Regime seine militärischen Ambitionen unter dem Deckmantel eines zivilen Kernenergie-Programms. Die Internationale Atomenergieagentur als Aufsichtsbehörde musste machtlos zuschauen, wie Iran seine Urananreicherungsanlagen immer weiter ausbaute.
So verschaffte sich die Islamische Republik die technischen Voraussetzungen, um bei Bedarf innerhalb von zwei bis drei Tagen waffenfähiges Uran für eine erste Bombe und innerhalb eines Monats Spaltmaterial für elf Bomben zu gewinnen. Angesichts der Vernichtungsphantasien, die Irans Regime gegenüber dem jüdischen Staat immer wieder zum Ausdruck gebracht hat, ist dies kein akzeptabler Zustand.
Ob Israels Krieg gerechtfertigt war, hängt jedoch stark von der zweiten Frage ab, jener nach dem Erfolg dieser Militäraktion. Falls es gelingt, die wichtigsten Atomanlagen zu zerstören oder Iran zum Verzicht auf jegliche Urananreicherung zu zwingen, wird Netanyahus Entscheidung dereinst in vorteilhaftem Licht erscheinen. Umgekehrt könnte der israelische Ministerpräsident als unverantwortlicher Hasardeur dastehen, falls Iran wesentliche Teile seines Atomprogramms bewahrt und sich jetzt erst recht zum Bau von Nuklearwaffen entscheidet.
Vor diesem Hintergrund sollte man die frühen taktischen Erfolge der Israeli nicht überbewerten. Dass Israel ein halbes Dutzend iranische Militärführer töten konnte und der Mossad unbemerkt Kampfdrohnen ins Land schmuggelte, ist zwar beeindruckend. Aber das entscheidende Kriterium lautet, inwieweit Irans Atomprogramm vernichtet wird.
Noch bleibt es ein Rätsel, was Israel genau vorhat. Netanyahu sagte in einer seiner Ansprachen, dass man «das Herz des iranischen Anreicherungsprogramms» getroffen habe. Aber dies ist höchstens die halbe Wahrheit. Die israelischen Luftangriffe verraten einen viel breiteren Fokus: Sie nehmen Irans Militärmacht generell ins Visier. Getroffen werden auch Kommandozentralen, Munitionslager und Rüstungsbetriebe. Hinzu kommen Angriffe auf das Staatsfernsehen sowie Energieanlagen, darunter das grösste Erdgasfeld, zwei Raffinerien und ein zentrales Treibstoffdepot.
Wichtige Teile des Atomprogramms haben die Israeli dagegen ausgespart: Bis jetzt gibt es keine Hinweise auf eine Bombardierung der unterirdischen, in einem Berg versteckten Anreicherungsfabrik Fordo. Schlagzeilen machte am Freitag die völlige Zerstörung der sogenannten Pilot-Anreicherungsanlage von Natanz. Doch diese oberirdische Fabrik war ungeschützt und keineswegs das «Herz» des iranischen Anreicherungsprogramms. In Fordo wurde in den vergangenen Monaten achtmal so viel hochangereichertes Uran hergestellt wie in Natanz. Ohne die Zerstörung von Fordo greift die Militäraktion zu kurz.
Für die israelische Zurückhaltung gibt es drei mögliche Erklärungen. Erstens könnte es sein, dass Israel mit der Bombardierung gewisser Atomanlagen noch zuwarten will. Ein schwieriges Ziel ist auch die tief unter dem Boden errichtete Anreicherungsfabrik von Natanz (eine andere Anlage als die erwähnte Pilotfabrik). Satellitenbilder zeigen einige Bombenkrater über dem betreffenden Areal, die Iran aber bereits wieder aufgefüllt hat. Zweitens ist denkbar, dass Netanyahu zuerst die USA zum Kriegseintritt bewegen will, weil nur die Amerikaner über genügend starke bunkerbrechende Bomben verfügen. Drittens geht Israel möglicherweise davon aus, mit rein militärischen Mitteln ohnehin nicht ans Ziel zu kommen. Dann bliebe die Hoffnung, dass Irans Führung entweder kapituliert und ihr Atomprogramm aufgibt – oder dass die militärische Blamage zum Sturz dieses Regimes führt.
Präsident Trump versucht angesichts der widersprüchlichen Forderungen aus seiner konservativen Wählerbasis eine Gratwanderung: Er stellt sich gegen einen offenen Kriegseintritt, aber hat Israels Militäraktion gelobt und Iran aufgefordert, am Verhandlungstisch einzulenken. Falls Teheran darauf eingeht, könnte Trump seine Vermittlungskünste rühmen. Für Israel wäre dies jedoch kein ideales Szenario. Bei einem faulen Kompromiss bliebe die Gefahr, dass die Iraner heimlich an einem neuen Ort Uran anreichern und auf die Bombe hinarbeiten. Das Know-how dazu kann man ihnen ohnehin nicht mehr nehmen.
Wer auf einen zeitlich eng begrenzten Militärschlag hofft, so wie Israel in der Vergangenheit Atomanlagen im Irak und in Syrien eliminierte, wird daher enttäuscht werden. Die Gefahr eines atomar aufgerüsteten Iran lässt sich nicht über Nacht bannen. Sicherheit bietet nur ein Machtwechsel in Teheran, verbunden mit der Einsicht, dass die nukleare Obsession das Land in eine Sackgasse geführt hat. Netanyahu hat allen Grund, direkt auf den «Kopf der Schlange» zu zielen, wie das Teheraner Regime in Israel oft genannt wird. Aber die Vergangenheit lehrt zugleich, dass sich diktatorische Regime mit Luftangriffen allein kaum je stürzen lassen. So zeichnet sich kein Sechstagekrieg wie 1967 ab, sondern ein längerer Kampf mit ungewissem Ausgang.
Israel wird die Chance nutzen, das militärische Rückgrat seines Erzfeindes Stück um Stück zu zertrümmern. Irans dezimierte Führung um den greisen Grossayatollah Ali Khamenei kann sich dagegen nur schlecht wehren. Sie muss mit ansehen, wie ihre Vision von einer gefürchteten Regionalmacht Iran zerbricht. Aber intern ist das Regime vorerst unangefochten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit brütet es in diesen Stunden über Plänen, wie es auf schnellstem Weg zu einer Atombombe kommt – dem einzigen Mittel, das noch Abschreckung gegenüber Israel verspricht.
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