Der Protektionismus zeigt Wirkung – aber nicht im Sinne seiner Erfinder: Während das globale Wirtschaftswachstum an Schwung verliert, steigen die Risiken einer Finanzkrise.
Die Anzeichen mehren sich, dass die schlimmsten Effekte von Donald Trumps Zollschock noch längst nicht ausgestanden sind. Dieser dürfte zu einer erheblichen Verlangsamung des weltweiten Wachstums führen, wie die Ökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF) in ihrem jüngsten «World Economic Outlook» bestätigen. Das erhöht das Risiko erheblich, dass es zu neuen Verwerfungen an den Finanzmärkten kommt, vor allem wenn sich die geopolitischen Spannungen fortsetzen. Es gibt allerdings auch eine gute Nachricht: Eine Rezession ist gemäss den Prognosen des IWF nicht zu befürchten.
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Der Währungsfonds schätzt das globale Wachstum für dieses Jahr auf 2,8 Prozent und für 2026 auf 3 Prozent. Noch im Januar hatte die Prognose für beide Jahre bei 3,3 Prozent gelegen. Damit dürfte die Weltwirtschaft auf absehbare Zeit klar unterdurchschnittlich wachsen. So hatte die Expansion zwischen 2000 und 2019 im Schnitt 3,7 Prozent betragen.
Die immer noch eher optimistische Prognose berücksichtigt alle bis zum 4. April angekündigten Zölle sowie die Gegenmassnahmen anderer Länder in diesem Zeitraum. Die von Donald Trump am 2. April im Rose Garden vorgestellten Zölle sind somit enthalten, nicht aber die am 9. April für 90 Tage verfügte Zollpause und die auf prohibitiv hohe Niveaus angehobenen Zölle gegenüber China.
Direkte Kritik an Trump will sich der IWF zwar nicht leisten. Schliesslich ist auch der Fonds ein Produkt der von den USA geprägten Nachkriegsordnung. Umso bemerkenswerter ist aber die deutliche Botschaft des ebenfalls am Dienstag vom Währungsfonds veröffentlichten «Global Financial Stability Report».
Dieser stellt fest, dass mit der Ankündigung der unerwartet hohen Zölle die Marktvolatilität auf ein rekordhohes Niveau gestiegen sei, was die deutlich erhöhte handels-, wirtschafts- und geopolitische Unsicherheit widerspiegle. Zwar habe dies bereits zu deutlichen Preiskorrekturen an den Märkten geführt. Gleichzeitig hätten sich aber auch die Wachstumsaussichten für Firmen und Staaten verschlechtert. So gesehen seien wichtige Aktien- und Bondmärkte sowie nicht zuletzt die amerikanischen Tech-Firmen immer noch sehr optimistisch bewertet.
Daraus abgeleitet sehen die IWF-Ökonomen drei Arten von ernsthaften Risiken für die Finanzstabilität:
Erstens sei es wahrscheinlicher geworden, dass es zu weiteren Börsenkorrekturen komme. Der Schock in der Handelspolitik führe dazu, dass sich auch die Aussichten für viele Banken verschlechtert hätten und diese von Bewertungskorrekturen besonders getroffen würden. Über fünfzig globale Banken hält der Währungsfonds «für in den meisten Dimensionen schwach».
Zweitens zeigt sich der IWF beunruhigt, weil Hedge-Funds sich verstärkt mit stark gehebelten Derivativen im Bondmarkt exponiert haben und der Verschuldungsgrad auch unter den Asset-Managern zugenommen hat. Vor allem schlecht geführte solche Finanzinstitutionen könnten schnell in Bedrängnis geraten, wenn sie nach Marktkorrekturen Sicherheiten nachliefern oder Auszahlungen tätigen müssten.
Sorgen bereitet dem IWF, dass in den USA in den vergangenen Jahren die Kredite von Banken an Hedge-Funds und unabhängige Asset-Manager stark zugenommen haben. Laut den im Bericht zusammengetragenen Daten haben sie 2007 weniger als 3 Prozent des Kreditportfolios der amerikanischen Banken ausgemacht. Inzwischen ist der Anteil auf über 15 Prozent gestiegen. Die Kredite an solche Schattenbanken sind nun höher als das gesamte Kernkapital der amerikanischen Banken.
Drittens ortet der IWF ein gestiegenes Risiko von Turbulenzen an den Märkten für Staatsanleihen. Dies etwa bei Schwellenländern, deren Währungen unter Druck stehen und wo Zinssenkungen schnell grössere Kapitalabflüsse zur Folge haben. Aber auch, weil in stark verschuldeten Industrieländern gestiegene Inflationserwartungen auf eine höhere Neuverschuldung stossen – und dies in einer Zeit, in der sich Investoren verstärkt Sorgen machen um die Nachhaltigkeit der Verschuldung. All das dürfte zu höheren Kosten führen und birgt die Gefahr, dass es an den Märkten zu Liquiditätsengpässen und Kreditklemmen kommt.
Vielen Banken nicht besonders gefallen dürfte, was der IWF aus seinen doch eher düsteren Szenarien ableitet. Er mahnt, dass «eine genügend hohe Ausstattung mit Eigenkapital und Liquidität des Bankensektors der Anker der Finanzstabilität bleibt». Die von vielen Ländern verschobene und verwässerte Umsetzung der Vorschriften der Basel-III-Regularien sei unbedingt schnell und vollständig zu realisieren und durch eine unabhängige, intensive Aufsicht zu ergänzen. Ob zuerst eine der befürchteten Krisen eintreffen muss, bevor diese Warnung in den Hauptstädten erhört wird?
Die nationalen Behörden fordert der IWF dazu auf, sich besser vorzubereiten, um die erhöhten Finanzstabilitätsrisiken im Krisenfall bewältigen zu können. Banken müssten Vorkehrungen treffen, um bei den Zentralbanken rasch Liquidität aufnehmen zu können. Zudem sollten Zentralbanken auch grosse Schattenbanken im Notfall gegen Sicherheiten mit zusätzlicher Liquidität versorgen können. Um Risiken besser einschätzen zu können, müssten diesen Nichtbanken aber ebenfalls Transparenz- und Berichtspflichten auferlegt werden.
Zu den Stabilitätsrisiken gesellen sich die Risiken sinkenden Wirtschaftswachstums. Die einzelnen Länder sind dabei von Amerikas Zöllen sehr unterschiedlich betroffen. Besonders stark sind die Auswirkungen in den USA selbst. So erleide das Land nun einen negativen Angebotsschock, schreibt der IWF. Dies deshalb, weil Ressourcen umgeleitet würden in die Herstellung von weniger wettbewerbsfähigen Produkten. Das führe zu einer geringeren Gesamtproduktivität und zu höheren Produktionspreisen.
Die Wachstumsprognose für die USA wird daher für dieses Jahr von 2,7 auf 1,8 Prozent korrigiert. Von der Korrektur um 0,9 Prozentpunkte entfallen dabei 0,4 Prozentpunkte auf Zölle. Besonders brisant ist zudem: Die Inflationsprognose wird von 2 auf 3 Prozent stark nach oben korrigiert. Damit entfernt sich die amerikanische Teuerung immer weiter vom angestrebten 2-Prozent-Ziel. Die IWF-Ökonomen signalisieren denn auch willkommene Unterstützung dafür, dass sich die amerikanische Zentralbank gegen Trumps lauter werdende Forderung nach raschen Zinssenkungen wehrt.
Im Euro-Raum sieht es nicht viel besser aus. So dürfte die Region in diesem Jahr mit 0,8 Prozent nicht einmal halb so stark wachsen wie die USA. Für das kommende Jahr wird jedoch trotz Zöllen mit einer leichten Beschleunigung auf 1,2 Prozent gerechnet. Anschub liefert zum einen der stärkere Konsum aufgrund steigender Reallöhne. Zum andern wird die Finanzpolitik zusehends lockerer. Das gilt vor allem in Deutschland, wo sich die Politik nicht länger an die Schuldenbremse gebunden fühlt.
Mit Blick auf den Welthandel zeichnet sich zwar keine Stagnation oder Schrumpfung ab. Der IWF rechnet allerdings damit, dass sich sein Wachstum in diesem Jahr auf 1,7 Prozent verlangsamen wird. Damit würde das Wachstum des Handels deutlich stärker sinken als jenes der Gesamtwirtschaft. Noch Anfang Jahr hatten die Ökonomen des Währungsfonds für den Welthandel eine starke Expansion um 3,2 Prozent in Aussicht gestellt.
Den Mitgliedländern empfiehlt der IWF, angesichts der erhöhten Unsicherheit und Volatilität von den Finanzmarktteilnehmern grössere makro- und mikroprudenzielle Puffer einzufordern, die im Krisenfall gelockert oder aufgelöst werden könnten. Die Geschichte habe immer und immer wieder gezeigt, dass Finanzkrisen enorme makroökonomische Kosten nach sich zögen.
Die einfachste Vorkehrung allerdings bliebe, dass Donald Trump seine Politik ändert. Denn diese Politik hat die Schockwellen an den globalen Märkten erst ausgelöst. Das fordert der IWF in seinen beiden Berichten aus den bekannten Gründen nicht explizit. Aber es zeigt sich immer deutlicher, wie notwendig dies wäre.
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