Studie im Berchtesgadener Land: Unbewirtschaftete Wälder besser gegen Klimaschäden geschützt als Wirtschaftswälder


A new study reveals that unmanaged forests in Germany are surprisingly more resilient to climate-related damage than managed forests, challenging conventional forestry practices.
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Unberührte Wälder trotzen Klimastress – Neue Studie aus dem Berchtesgadener Land überrascht Experten

Stand: 10.06.2025, 17:02 Uhr

Von: Kilian Pfeiffer

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Wirtschaftswald im Forstbetrieb Berchtesgaden: Auf solchen bewirtschafteten Flächen untersuchten die Forscher, wie stark Störungen wie Borkenkäferbefall oder Windwurf zuschlagen und verglichen das Ergebnis mit Schutzgebieten, in denen der Wald sich selbst überlassen bleibt. © kp

Dürre, Sturm, Borkenkäfer: Seit 2018 leidet Deutschlands Wald wie nie zuvor – doch gerade unberührte Schutzgebiete halten dem Klimastress erstaunlich gut stand. Forscher aus dem Nationalpark Berchtesgaden liefern nun Daten, die selbst erfahrene Förster verblüffen.

Berchtesgadener Land – Extreme Unwetter, Dürresommer und Borkenkäfer haben Deutschlands Wälder seit 2018 so stark geschädigt wie seit 170 Jahren nicht mehr. Eine neue Satelliten­analyse, initiiert von Prof. Dr. Rupert Seidl (TU München), Leiter des Sachgebiets Forschung im Nationalpark Berchtesgaden, und Doktorandin Kirsten Krüger vergleicht 22 000 Waldflächenpaare bundesweit und zeigt: In unbewirtschafteten Schutzgebieten treten im Schnitt 22 Prozent weniger Störungen auf, ihre Intensität ist 32 Prozent geringer als in Wirtschaftswäldern. Das überraschende Ergebnis gibt Einblick, was das für künftiges Forst- und Naturschutz­management bedeuten könnte. 

Herr Professor Seidl, Ihre Studie im Journal of Applied Ecology kommt zum Ergebnis, dass unbewirtschaftete Wälder durchschnittlich weniger von Störungen – etwa Borkenkäferbefall oder Windwurf – betroffen sind als Wirtschaftswälder. Wie erklären Sie sich, dass diese Erkenntnis der gängigen Auffassung widerspricht, vor allem jener in forstwirtschaftlich geprägten Kreisen?

Prof. Dr. Rupert Seidl: Ich bin selbst ausgebildeter Förster und auch mir war vor Beginn unserer Studie nicht klar, wie die Ergebnisse aussehen werden. Wir hatten sowohl Hypothesen für und gegen stärkere Störungen in Schutzgebieten formuliert. Die Aufgabe von der Wissenschaft ist es dann, auf Basis von Daten und transparenten Methoden eine Antwort auf solche Forschungsfragen zu geben. Das Schöne daran ist, dass wir heute Daten haben, um über die Erfahrungen Einzelner hinaus die Entwicklung über ganz Deutschland hinweg zu untersuchen. Das erlaubt es uns, generellere Zusammenhänge abzuleiten, als es vielleicht für einen einzelnen Förster lokal möglich wäre. 

Die vergangenen Jahre waren besondere in Sachen Störungen für den Wald…

Seidl: Ja, deshalb ist es auch wichtig zu sagen, dass die Störungen der vergangenen Jahre absolut außergewöhnliche Ereignisse waren. In den letzten 170 Jahren gab es in Europa keine so große Welle der Baummortalität wie in der Periode seit 2018. Und unsere Daten zeigen: In gewöhnlichen, ‘normalen’ Jahren funktioniert das forstliche Risikomanagement auch durchaus. Hier sind die Störungen in bewirtschafteten Gebieten ähnlich oder sogar geringer als in Waldschutzgebieten. Jedoch gerade die massiven, durch den Klimawandel verstärkten Störungspulse setzen den Wald unter Druck. Wir haben hier in der Waldbewirtschaftung noch kein gutes Gegenrezept gefunden. Wir arbeiten aktuell gemeinsam mit der Praxis an möglichen Lösungsansätzen.

Prof. Dr. Rupert Seidl, Lehrstuhlinhaber für Ökosystemdynamik und Waldmanagement in Gebirgslandschaften an der TU München und Leiter der Forschung im Nationalpark Berchtesgaden, führte die Studie zu Störungen in deutschen Wäldern an. © kp

Die ausgewählten Flächenpaare waren laut Studie vergleichbar in Bezug auf Artenzusammensetzung, Klima und Topografie. Wie wurde sichergestellt, dass die Bewirtschaftung tatsächlich der einzige maßgebliche Unterschied war und keine anderen Faktoren in die Ergebnisse hineingewirkt haben?

Kirsten Krüger: Wir haben alle Umweltfaktoren berücksichtigt, für die deutschlandweit verlässliche Flächendaten vorliegen und die nachweislich die Störungsanfälligkeit von Wäldern beeinflussen – konkret Baumartenmischung, Klima und Topografie. Damit sichern wir eine hohe Vergleichbarkeit der untersuchten Flächen. Nicht abbilden konnten wir dagegen Alter und Struktur der Bestände, weil hierfür keine flächendeckenden Datensätze existieren. Gerade eine komplexe Waldstruktur, wie sie sich in ungenutzten Wäldern natürlicherweise entwickelt, kann jedoch nachweislich Störungen abpuffern. Das bestätigen andere Studien unseres Teams.

Waren in Ihrer Untersuchung auch Flächen aus dem Nationalpark Berchtesgaden oder anderen bayerischen Schutzgebieten enthalten? Lassen sich regionale Besonderheiten daraus ableiten oder entspricht das Ergebnis dem bundesweiten Trend?

Krüger: Unsere Stichprobe umfasst Flächen aus dem Nationalpark Berchtesgaden, dem Nationalpark Bayerischer Wald und mehreren bayerischen Naturwaldreservaten. Die Zahl der Untersuchungseinheiten haben wir proportional zur jeweiligen Schutzgebietsgröße gewählt, damit einzelne große Parks das Gesamtbild nicht verzerren. Regionalspezifische Auswertungen für Bayern haben wir jedoch nicht vorgenommen, weil der Schwerpunkt der Studie auf einer deutschlandweiten Betrachtung liegt.

Kirsten Krüger ist Doktorandin am Lehrstuhl für Ökosystem­dynamik und Waldmanagement in Gebirgs­landschaften an der TU München und war maßgeblich an der Studie beteiligt. © kp

Ihre Daten stammen aus dem Zeitraum 1986 bis 2020. Wie verlässlich sind Satellitendaten zur Erfassung von Borkenkäferbefall, Windwurf oder Dürreschäden. Wie bewerten Sie deren Aussagekraft im Vergleich zu klassischen Geländeaufnahmen?

Krüger: Großflächige Störungen, bei denen ein erheblicher Teil des Bestands geschädigt wird, lassen sich mit Satellitenbildern sehr zuverlässig erkennen: Die von uns genutzte Störungskarte erreicht eine Gesamtgenauigkeit von über 92 Prozent. Dabei fassen wir allerdings alle Schadursachen – Borkenkäfer, Windwurf, Dürre – unter dem Sammelbegriff ‘natürliche Störungen’ zusammen, weil deren genaue Unterscheidung aus dem All nach wie vor schwierig ist. Bodenaufnahmen liefern zwar lokale Detailinformationen von hoher Präzision, sind aber kaum deutschlandweit hochskalierbar. In vielen Regionen fehlen konsistente Zeitreihen über die vergangenen 35 Jahre. Satellitendaten schließen diese Lücke, indem sie flächendeckend und rückwirkend ein einheitliches Bild liefern. Für Fragestellungen wie die Waldzusammensetzung nach einem Schadenereignis oder die Auswirkungen auf den Waldboden sind aber weiterhin klassische Geländeaufnahmen nötig. Wir kombinieren daher beide Methoden, um Störungen und ihre Folgen möglichst umfassend zu erfassen und zu verstehen.

Welchen Einfluss haben Alters- und Strukturvielfalt der Bestände auf Ihre Analyseergebnisse? Könnte die größere Störungsanfälligkeit von Wirtschaftswäldern vor allem daran liegen, dass sie strukturell weniger vielfältig sind?

Krüger: Alter und strukturelle Vielfalt beeinflussen eindeutig die Widerstands- und Erholungsfähigkeit von Wäldern. Zwar haben wir diesen Faktor in unserer Studie nicht separat ausgewertet, doch andere Untersuchungen zeigen klar: Je komplexer die Bestandsstruktur, desto geringer die Störungsanfälligkeit. Unterschiede in der Waldstruktur könnten daher einen Teil der von uns beobachteten Effekte erklären.

Ihre Studie weist in unbewirtschafteten Wäldern im Schnitt 22 Prozent weniger Störungen und 32 Prozent geringere Intensität aus. Lassen sich diese Vorteile bereits in Euro ausdrücken, etwa als vermiedene Schadenskosten oder eingesparte Managementmaßnahmen?

Rupert Seidl: Die wirtschaftliche Dimension haben wir in dieser Studie bewusst außen vor gelassen. Belastbare Zahlen zu vermiedenen Schäden oder eingesparten Maßnahmen liegen daher noch nicht vor. Genau daran arbeiten wir derzeit in einer Folgestudie, die die ökonomischen Folgen von Waldschäden systematisch quantifizieren soll – hier bitten wir Sie noch um etwas Geduld.

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Ein häufiges Gegenargument lautet, dass man in Schutzgebieten bei Katastrophen wie Sturm oder Käferbefall nicht eingreifen darf. Würden Sie sagen, dass dieser Kontrollverzicht unterm Strich gar nicht schadet, oder in manchen Fällen sogar Vorteile bringt?

Rupert Seidl: Man muss hier klar unterscheiden: Nationalparks sind in Zonen gegliedert. In den Kernzonen wird nicht eingegriffen, dort kann sich der Wald frei entwickeln, und Störungen wirken als natürliche, struktur­bildende Prozesse, die die Biodiversität erhöhen. Um diese Flächen herum liegen Pflege- und Borkenkäfer-Managementzonen, in denen bei Bedarf aktiv gehandelt wird, um eine Ausbreitung von Schäden in benachbarte Wirtschaftswälder zu verhindern. Es besteht also kein Kontrollverlust. Vielmehr wird die natürliche Dynamik gezielt zugelassen, ohne die Ziele angrenzender Waldbesitzer zu gefährden.

Ihre Daten deuten darauf hin, dass Wälder sich nach Störungen selbst regenerieren können. Welche praktischen Schlüsse ließen sich daraus für das Management von Wirtschaftswäldern ziehen, etwa nach Windwurf oder Borkenkäferbefall?

Krüger: Unsere Untersuchung beleuchtet lediglich das Ausmaß der Störungen, nicht aber die nachfolgenden Entwicklungsprozesse. Daher können wir auf Basis dieser Studie keine konkreten Empfehlungen zum Management von Wirtschaftswäldern nach einem Schadereignis geben.

„Natur Natur sein lassen“ galt lange als idealistischer Slogan. Ihre Daten liefern dafür nun eine empirische Grundlage. Welche Bedeutung könnte das für politische Entscheidungen rund um neue Schutzgebiete oder Wildnisflächen haben?

Seidl: In erster Linie zeigen unsere Ergebnisse, dass wir Waldschutzgebiete in unsere mitteleuropäische Kulturlandschaft integrieren können, ohne das Störungsrisiko zu erhöhen. Es mag viele Argumente für oder gegen Schutzgebiete geben, Störungen gehören jedoch nicht dazu. Unsere Analyse von Störungsdaten liefert keinen Hinweis darauf, dass sich Schutzgebiete negativ auf Störungen in Waldgebieten auswirken.

So mancher Kritiker dürfte befürchten, dass Studien wie Ihre als Begründung für einen generellen Rückzug aus der forstlichen Nutzung dienen könnten. Auch dort, wo aktives Management ökologisch sinnvoll wäre. Wie begegnen Sie solchen Vorbehalten?

Seidl: Es ist nicht unsere Intentionen, durch unsere Studie einen generellen Rückzug aus der forstlichen Nutzung zu motivieren. Im Gegenteil, wir möchten Waldmanager damit wichtige Daten zur Anfälligkeit von Wäldern gegenüber Störungen an die Hand geben. Eine große Herausforderung für die Waldbewirtschaftung ist es aktuell, die nachhaltige Nutzung von Wäldern mit einem Erhalt und Schutz der Artenvielfalt unter einen Hut zu bringen. Hier liefern unsere Daten wichtige Erkenntnisse für eine Bewirtschaftung, die beide Aspekte in Waldlandschaften vereint adressiert. Die Ergebnisse unserer Studie stellen aber in keiner Weise die vielen positiven gesellschaftlichen Effekte der Waldbewirtschaftung in Frage. (kp) 

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