Werder feiert den Auswärtssieg in Stuttgart. IMAGO/kolbert-press/Martin Agüera
Mitchell Weiser hatte sich die Tabelle erst gar nicht angeschaut. Der Drei-Punkte-Rückstand des SV Werder Bremen auf Platz sechs, der zum Einzug ins internationale Geschäft berechtigen würde, ging somit völlig an ihm vorbei. „Das weiß ich zum Beispiel gar nicht“, versicherte der Flügelspieler glaubhaft. „Wir haben jetzt ein Spiel gegen Bochum – das ist das, was entscheidend ist.“ Und natürlich das, was nach 34 Spieltagen in der Bilanz auftaucht. Werder hat in den vergangenen Wochen eine Menge dafür getan, eine verloren geglaubte Saison womöglich doch noch zu einem spektakulären Ende führen zu können. Aber die Europa-Sehnsüchte werden auch weiterhin mit kleinen Ausnahmen sehr dezent formuliert, wenngleich Gedanken an zusätzlich elektrisierende Flutlichtnächte im Weserstadion ausdrücklich erlaubt sind.
„Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn die Leute jetzt anfangen zu träumen und sich Ziele setzen“, sagt Clemens Fritz, doch Werders Geschäftsführer Fußball warnt auch: „Es kann aber noch immer in alle Richtungen gehen. Daher: Wir müssen weiter bei uns bleiben und uns auf unsere Spielweise konzentrieren. Wenn wir das weiterhin so umsetzen, dann können wir am Ende mal schauen, wohin die Reise geht.“ Tabellarisch versteht sich, um Touren im Europapokal geht es da (noch) im übertragenen Sinne nicht. Aber die Lust darauf ist schon jetzt da. Bei Oliver Burke zum Beispiel. Der Doppeltorschütze des 2:1-Erfolgs in Stuttgart ist einer der wenigen Bremer Profis, der die öffentliche Zurückhaltung abgelegt hat. „Es ist möglich“, betont der Stürmer. „Wir sollten alle daran glauben. Das wäre ein riesiger Erfolg für den Klub. Warum nicht?“ Auch Mittelfeldspieler Senne Lynen meint: „Es ist nicht so, dass wir das erwarten, aber ja, wir wollen mitspielen.“
Und seit dem Betriebsausflug ins Schwabenland können sich die Bremer nun auch einzig und allein um dieses Ziel kümmern. Der Klassenerhalt ist endgültig gesichert, die erwünschte 40-Punkte-Hürde mit Bravour gemeistert. Es sind sogar schon 42 Zähler auf dem Konto und damit exakt so viele wie am Ende der vorherigen Spielzeit. Das beeindruckt auch Trainer Ole Werner, der eine solche Entwicklung seit dem Wiederaufstieg nicht für selbstverständlich hält. „Wir sind in den drei Jahren nicht ein einziges Mal so in den unteren Regionen gewesen, dass irgendjemand in Bremen schlaflose Nächte hätte haben müssen. Das ist in Anbetracht der Möglichkeiten schon ein Erfolg“, unterstreicht der 36-Jährige, der maßgeblich dafür verantwortlich ist, aus sportlich minimaleren Voraussetzungen viel herauszuholen. Jahr für Jahr. „Wir können jetzt befreit und mit Selbstvertrauen in diese letzten Spiele gehen. Wir wollen so viele Punkte wie möglich holen, dann wird man am Ende sehen, wofür es reicht“, sagt auch er. Den Erfolgszwang schiebt der Coach jedenfalls lässig an die Konkurrenz weiter: „Es gibt da oben viele Mannschaften, die einen ganz anderen Druck haben als wir – die müssen nach Europa kommen.“
Werder befindet sich eher in einer Kann-Situation, die mehr als nur ein simpler Bonus aufs bisher Erreichte werden könnte. Aber dafür muss eben auch alles passen. „Da wird immer viel geredet bei uns: Vom ersten Abstiegskandidaten über die Goldene Ananas bis Europa League ist in einem Jahr alles dabei“, sagt Leonardo Bittencourt. „So war es letztes Jahr auch, doch davon lassen wir uns nicht mehr beirren. Wenn es so sein soll, dann soll es so sein. Und wenn nicht, dann haben wir nächstes Jahr erneut eine Chance, wieder ein besseres Jahr zu spielen.“
Am kommenden Sonnabend ist der VfL Bochum im Weserstadion zu Gast (15.30 Uhr), als Abstiegskandidat könnte der Ruhrpottclub schnell auf die leichte Schulter genommen werden. Doch da macht Clemens Fritz nicht mit. „Gegen Bochum und St. Pauli kommen jetzt die Spiele, die wieder richtig unangenehm werden“, prognostiziert er, während Ole Werner sagt: „Es sind noch 15 Punkte zu vergeben, wir haben fünf ganz unterschiedliche Spiele. Wir sind gut beraten, uns auf unsere nächste Aufgabe namens Bochum zu konzentrieren.“ Sonst kann sich das mit dem europäischen Wettbewerb schließlich auch ganz schnell wieder erledigt haben und die Mühe der vergangenen Wochen wäre beinahe umsonst gewesen. Dabei ist der Wiederaufschwung fast nicht hoch genug zu bewerten. Könnte man meinen. Ole Werner entgegnet jedoch trocken: „Das ist keine ganz neue Erkenntnis. Wir haben es schon in vielen Spielzeiten geschafft, Antworten auf Probleme oder schwierige Phasen zu finden. Das kriegen wir seit Jahren dadurch hin, dass wir uns auf die Arbeit konzentrieren und uns nicht von Stimmungsbildern um uns herum anstecken lassen.“
Und damit auch nicht vom Europa-Gerede, das ganz automatisch rund um den Osterdeich wieder lauter werden wird. Die vollkommen normalen Mechanismen des Geschäfts eben. Marco Friedl wünscht sich, dass die Verlockungen zumindest innerhalb der Mannschaft nicht zu präsent sind. „Der Blick auf die Tabelle tut uns nicht gut. Wenn wir im Kopf frei sind und uns nicht irgendwelche Gedanken machen, dann spielen wir am besten“, erklärt Werders Kapitän und betont. „Und das werden wir auch die nächsten Wochen so versuchen.“
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