Auf der Gefahrenkarte des Kantons sind weite Teile des Tals rot eingefärbt. Das heisst: Bauen verboten.
Zehn Tage nach dem verheerenden Bergrutsch in Blatten ist noch kein einziger Brocken weggetragen. Der Schuttkegel liegt noch immer wie ein gigantisches Ungeheuer im Tal, zu gefährlich, um ihn zu betreten, und zu gross, um ihn je ganz abtragen zu können. Trotzdem haben die Behörden diese Woche erneut beteuert, Blatten wiederaufbauen zu wollen.
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Am Mittwoch hat die Walliser Regierung angekündigt, eine «Strategiegruppe» zu schaffen, die den Wiederaufbau koordinieren soll. Und der Gemeindepräsident von Blatten, Matthias Bellwald, sagte im Schweizer Fernsehen, es liefen bereits gewisse Vorbereitungen, um ein sicheres Stück Land für das neue Blatten zu finden. «Es gibt viele Möglichkeiten.»
Die Aussage erstaunt. Denn eigentlich darf praktisch nirgends im Lötschental neu gebaut werden. Gemäss Gesetz dürfen Neubauten nur an Orten errichtet werden, an denen ein vertretbares Risiko für Schäden durch Naturgefahren besteht. In den anderen, den roten Zonen, ist es verboten, neue Häuser zu bauen. Und schaut man sich die kantonalen Gefahrenkarten für das Lötschental an, sieht man: Da ist sehr viel rot.
Die grösste Gefahr im Lötschental geht von Schneelawinen aus. Die roten Zonen reichen von den nördlichen und südlichen Hängen bis in den Talboden hinunter. Auch die Strasse im Tal liegt fast vollständig im roten Bereich. Nimmt man die Hochwassergefahrenkarte hinzu, erstrecken sich die roten Zonen zusätzlich entlang des Flusses Lonza und einiger Bergbäche.
Immerhin: Die Ortskerne der Dörfer Wiler, Kippel und Ferden liegen grösstenteils in sicheren Zonen oder in Zonen mit geringer bis mittlerer Gefahr. Für einzelne neue Häuser hätte es da wohl noch Platz. Aber ist da auch Platz für eine neue Siedlung, in der die 300 Blattnerinnen und Blattner leben könnten, inklusive Kirche und Dorfplatz? Oder droht der Wiederaufbau von Blatten daran zu scheitern, dass ein genügend grosser und sicherer Standort fehlt?
Andreas Zischg ist Hydrologe an der Universität Bern und Experte für Naturrisiken. Er bestätigt, dass es im Lötschental – wie in vielen anderen, ähnlich steilen Alpentälern – wenig Raum für Neubauten gebe. Und in der blauen Zone, jener mit mittlerer Gefahr, seien Neubauten nur mit erhöhten Anforderungen an die Bausubstanz möglich. «Die Suche nach einem neuen Standort für Blatten dürfte also schwierig werden.»
Doch gerade der Kanton Wallis hat sich in den vergangenen Jahren erstaunlich flexibel gezeigt, wenn es um Neubauten in der roten Zone ging. SRF deckte vergangenen Herbst auf: In einigen Gemeinden des Rhonetals wurden über hundert Neubauten bewilligt, obwohl sie in der roten Zone liegen. Bedingung dafür war unter anderem, dass man im Falle eines Hochwassers von einem langsamen Anstieg des Pegels ausgehen könne und genügend Zeit zum Evakuieren bliebe. Zudem durften keine Wohnungen im Erdgeschoss gebaut werden.
Trotz diesen Kriterien intervenierte das Bundesamt für Umwelt beim Kanton. Man rate «dringend» davon ab, weiter in der roten Zone zu bauen. Auch unter Fachleuten für Naturgefahren sorgte die Recherche für Aufsehen. Die Walliser Behörden rechtfertigten sich damit, dass es ausserhalb der roten Zone kaum mehr Bauland gebe. In der Not ist der Kanton Wallis also schon einmal erfinderisch geworden. Wären solche Ausnahmen von der roten Zone auch eine Option für Blatten?
Umweltminister Albert Rösti erteilte dieser Idee am Freitag eine Absage. An einer Medienkonferenz sagte er, Blatten stehe auf der Suche nach einem neuen Standort ein «steiniger Weg» bevor. Und: «Es wird sicher kein Richtplan bewilligt in einem Gefahrengebiet, also in einer roten Zone.» Rösti tönte aber an, dass er einen Wiederaufbau «weiter hinten im Tal» für möglich halte.
Auch für Beat Rieder, Walliser Mitte-Ständerat, ist klar, dass man sich an die Gefahrenkarten halten müsse. Rieder wohnt selbst im Lötschental und geht derzeit davon aus, dass ein Wiederaufbau in den intakt gebliebenen Ortsteilen von Blatten möglich sein wird. Er meint damit den Ostteil von Blatten sowie die Siedlungen Weissenried und Eisten. «Mit diesen Orten verbinden die Blattner ein Heimatgefühl.»
Gemäss der Gefahrenkarte gibt es in diesen Gebieten durchaus Flächen ausserhalb der roten Zone. Aber das Gelände ist steil und der Platz knapp. Dass es da für 300 Personen, unter ihnen Familien mit Kindern, eng werden könnte, sieht auch Rieder. «Es ist gegenwärtig schwierig abzuschätzen, ob sich für alle genügend Platz findet.»
Rieder fordert nun, dass die Behörden die raumplanerischen Prozesse beschleunigen. «Bis in einem Jahr soll ein fachlicher Entscheid vorliegen, wo das neue Blatten entstehen soll», sagt er. «Dann können die Blattner entscheiden, ob sie dort bauen wollen.»
Der Hydrologe Zischg sieht noch eine weitere Möglichkeit für ein neues Blatten. «Am gewünschten Standort könnten umfangreiche Schutzbauten erstellt werden, zum Beispiel grosse Lawinendämme», sagt Zischg. «In Kombination mit baulichen Massnahmen und Notfallplänen könnte die Gefahrenlage für den Standort eingedämmt und die Gefahrenzone von Rot auf Blau oder Gelb heruntergestuft werden», sagt er. «Dann wären Neubauten wieder erlaubt.»
Was Zischg vorschlägt, ist kein theoretisches Gedankenspiel, sondern kommt nach Naturkatastrophen häufig vor. Zum Beispiel in Brienz im Berner Oberland. Im Jahr 2005 hatten Unwetter dort einen Murgang ausgelöst und dreissig Häuser zerstört, zwei Menschen starben. Nach dem Unglück wurde die rote Zone zunächst ausgeweitet, die Gemeinde lehnte Gesuche für Neubauten in den neu als gefährlich taxierten Gebiet ab. Doch später, als die Bachbette künstlich vergrössert und Schutzdämme gebaut worden waren, stuften die Behörden die Gefahrenzonen wieder zurück und schufen Platz für Neubauten.
Doch solch umfangreiche Schutzbauten sind teuer. Das zeigt sich zum Beispiel im Bündner Bergdorf Bondo mit 200 Einwohnern. 2017 ereignete sich hier ein massiver Bergsturz, der das Dorf verwüstete. Die neu gebauten Schutzwälle, Brücken und Auffangbecken kosteten 52 Millionen Franken. Fast die Hälfte davon zahlte der Bund.
Kommt hinzu: Schutzdämme zu bauen, dauert Jahre. Allein die anschliessende Anpassung der Gefahrenkarte kann über ein Jahr dauern. Im Lötschental aber scheint man gerade eher auf Tempo zu pochen.
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