Was sagt die Auswahl der Lieder für seinen Zapfenstreich über Scholz aus? Vielleicht ist es ein Versuch, sein Vermächtnis zu retten.
Kurz flunkerte etwas in ihrem Augenwinkel, bei der Zeremonie zum Abschluss ihrer politischen Laufbahn. Sie hatte feuchte Augen und nickte vorsichtig im Takt. Angela Merkel, die scheidende Kanzlerin, sass beim grossen Zapfenstreich zu ihrem Abschied 2021 auf einer Tribüne vor dem Verteidigungsministerium in Berlin.
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Vor ihr stand am späten Abend das Musikkorps der Bundeswehr stramm, in festlicher Uniform, umrahmt von Soldaten mit Fackeln in der Hand. Die Kapelle spielte auf Merkels Wunsch unter anderem «Du hast den Farbfilm vergessen» von der Punk-Sängerin aus der DDR Nina Hagen.
Auch Olaf Scholz bekommt zum Abschied seiner Kanzlerschaft diese staatliche Weihe, der sogenannte grosse Zapfenstreich. Das ist eine abendliche Zeremonie des Militärs, mit der unter anderem scheidende Politiker geehrt werden. Das bekannte militärische Zeremoniell beinhaltet Aufmarsch, Serenade, Musik und Ausmarsch. Ziel sei laut Bundeswehr, die Verbundenheit von Bundeswehr und Bevölkerung zu stärken.
Das Zeremoniell fand am Montagabend auf dem Paradeplatz des Verteidigungsministeriums in Berlin statt. In Anwesenheit von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Verteidigungsminister Boris Pistorius sowie dem Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer. Darüber hinaus nahmen weitere prominente Vertreter aus Politik und Gesellschaft teil, darunter der kommende Kanzler Friedrich Merz.
Vor dem Zapfenstreich würdigte Pistorius den scheidenden Bundeskanzler als Staatsmann, der Deutschland in stürmischen Zeiten mit «Entschlossenheit, Klugheit und Besonnenheit» geführt habe. Scholz habe in schwierigen Momenten Kurs gehalten. Dann ergriff Scholz selbst das Wort.
Deutschland zu dienen, sei die Ehre seines Lebens gewesen, sagte er. Seinem Nachfolger Friedrich Merz wünschte Scholz «viel Erfolg, Fortüne und eine glückliche Hand». Ein Land, das solche Bürgerinnen und Bürgern habe, müsse keine Angst vor der Zukunft haben. «Ein solches Land kann seine Zukunft selbst gestalten – und das sollten wir auch tun. Vielen Dank!», schloss er seine Abschiedsrede. Die Veranstaltung wurde live im Fernsehen übertragen.
Die Veranstaltung ist seit dem Abschied von Helmut Kohl 1998 eine Konstante in der deutschen Politik. Flackernde Fackeln im dunklen Berlin, glänzende Helme, straffe Fahnen und gebrüllte Befehle. Und dann spielt diese Militärkapelle moderne Lieder statt Märsche. In einer Starrheit, die nicht zu überbieten ist, dann doch überraschend rührend.
Am Abend des Zapfenstreichs regiert staatstragender Ernst. Das Amt wird geehrt, nicht der Mensch, der es innehatte. Der Funktionsträger, in diesem Fall Olaf Scholz, muss sich der militärischen Choreografie fügen. Nur ein Zückerchen kriegte er: Drei Stücke durfte er sich wünschen, um dem Abschied immerhin eine kleine persönliche Note zu geben.
Bei Merkel war die Botschaft klar: Nina Hagen für ihre ostdeutsche Identität, «Grosser Gott, wir loben Dich» für ihre christliche Wertehaltung und «Für mich soll’s rote Rosen regnen» als Symbol für die Selbstbestimmung. Bei Scholz ist die Deutung seiner Auswahl schwieriger, sie scheint auf den ersten Blick etwas beliebig zu sein.
Der Kanzler hat sich vom Musikkorps den Soul-Klassiker «Respect» gewünscht, im Original vom Soulsänger Otis Redding, berühmt geworden durch die Soulsängerin Aretha Franklin. Dann einen Auszug aus dem Zweiten Brandenburgischen Konzert von Johann Sebastian Bach und schliesslich «In My Life» von den Beatles. Was will er der Öffentlichkeit damit sagen?
Bei «Respect» scheint die Botschaft klar zu sein. Mit dem Schlagwort gewann Scholz den Wahlkampf 2021. Und er wiederholte es bei jeder Gelegenheit. Sowohl das Original von Redding als auch Franklins Cover passen zu den Kernanliegen des Sozialdemokraten. Redding besang den Respekt und die Anerkennung, die er von seiner Frau erwartete, wenn er von der Arbeit nach Hause kam. Respekt vor der Arbeit also.
Franklin sang später einen veränderten, auf ihre Frauenrolle zugeschnittenen Text. Zu jener Zeit Frauen in den USA verboten, Sozialhilfe zu beanspruchen, wenn sie mit einem Mann zusammenlebten. Alles, was Franklin erwartete: ein wenig Respekt. Auch so passt der Song zu Scholz, dem selbsternannten Feministen.
Mit dem Brandenburgischen Konzert von Bach bleibt Scholz bei der guten Laune von «Respect». Das Stück wird angeführt von fast schon grell klingenden Bläsern. Trompete, Flöte und Oboe steigen zusammen mit der Geige auf sehr hohe Tonlagen. Es ist ein festliches Stück, als würde Scholz erhaben gehen. Er könnte damit sagen wollen: Wenn ich schon gehen muss, dann selbstbewusst und gut gelaunt. Oder, wie Medien spekulieren, könnte es ein Gruss an seinen Wahlkreis Potsdam sein, in Brandenburg.
Und mit «In My Life» nimmt Scholz wohl einfach Abschied, nach dieser ausserordentlich kurzen Kanzlerschaft. Der Text handelt von Freunden und Geliebten. Es ist ein Song, der der Vergangenheit huldigt, für Scholz womöglich ein Rückblick auf seine politische Laufbahn.
Scholz will also beschwingt-feierlich auf seine Zeit zurückblicken – und fordert noch einmal Respekt. Für sich als der besserwisserische, unverstandene Kanzler, der stets der Meinung war, er habe recht, seine Kritiker würden ihn bloss nicht verstehen. Und für die Gesellschaft, wie er es in seinem Wahlkampf gefordert hatte. Mit der Liedauswahl scheint er noch einmal sein Vermächtnis retten zu wollen.
Gewiss ist: Der Anlass ist bizarr. Nur schon der archaische Name, die obskure Atmosphäre, der Kontrast zwischen Stechschritt und Beatles, Stahlhelmen und Aretha Franklin. Allerdings passt diese militärische Ehre gerade zum «Friedenskanzler», der die Zeitenwende ausgerufen hat, besonders gut.
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