Schweizerischer Blindenverband: 100 Jahre und viel Arbeit


The Swiss Federation of the Blind celebrates its 100th anniversary, highlighting its ongoing work for improved accessibility and inclusion for blind and visually impaired individuals in Switzerland.
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Weisse Linien fehlen – auch nach 100 Jahren gibt's viel Arbeit für den Blindenverband

Die aktuelle und eine ehemalige Präsidentin des SBV Zentralschweiz sprechen über Meilensteine und Herausforderungen.

Dieses Jahr feiert der Schweizerische Blinden- und Sehbehindertenverband (SBV) Sektion Zentralschweiz sein 100-jähriges Bestehen. Innerhalb eines Jahrhunderts hat sich vieles verändert.

Die Theatergruppe des Bildungs- und Begegnungszentrums Luzern (BBZ) führte an der Jubiläums-GV des SBV Sektion Zentralschweiz ein eigens dafür konzipiertes Stück auf. Mitwirkende (von links): Sepp Eggenschwiler, Elisabeth Birrer, Sonja Huwiler, Josef Trottmann, Theaterpädagogin Nina Duss, Pius Schmidiger, Andreas Ruckstuhl und Edith Hanloser. Bild: zvg / Harry Strub (2. 5. 2025)

Als im Mai 1925 die Zentralschweizer Sektion des Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverbands (SBV) ins Leben gerufen wurde, nahmen 25 Personen an der Versammlung im Hotel Waldstätterhof in Luzern teil, wie der Festschrift zum 75-Jahr-Jubiläum von 2000 zu entnehmen ist.

In den Anfangsjahren sei es dem Verband und somit auch der Sektion ein zentrales Anliegen gewesen, die Armengenössigkeit blinder und sehbehinderter Menschen aufzuheben. Denn unterstützungsbedürftigen Personen – Armengenössigen – wurden damals die bürgerlichen Aktivrechte entzogen, sie durften beispielsweise nicht wählen oder abstimmen. Es fehlte die ökonomische und soziale Sicherheit.

Die Unterstützung für Blinde und Sehbehinderte war in den ersten 25 Jahren oft von finanzieller, materieller oder auch von vermittelnder Natur; dazu zählen beispielsweise die Abgabe des weissen Stocks oder die Vermittlung von Arbeitsplätzen. Mit der Einführung der IV 1959 habe sich die ökonomische Situation der Blinden und Sehbehinderten verbessert. Andere Themen wie Freizeitaktivitäten oder Zusammenarbeit mit anderen Behindertenorganisationen wurden vermehrt angegangen.

Beratungsstellen und öffentlichkeitswirksame Aktionen

1976 bildete die Schaffung der Beratungsstelle für Blinde und Sehbehinderte an der Hirschmattstrasse und die Einstellung einer Sozialarbeiterin einen Meilenstein für die Sektion Zentralschweiz. Daraus hervor ging die heutige Fachstelle Sehbehinderung Zentralschweiz. Die Öffentlichkeitsarbeit und die Vernetzung mit Nichtbehinderten wurden wichtiger. Die Sektion arbeitete auf die gesellschaftliche, berufliche und schulische Integration und Partizipation von Blinden und Sehbehinderten hin. Dazu organisierte sie unter anderem Ausstellungen und Diavorträge und führt seit 1977 anlässlich des «Internationalen Tags des weissen Stockes» am 15. Oktober jeweils verschiedene Aktionen durch.

1987 öffnete erstmals das Freizeitatelier für Blinde und Sehbehinderte seine Türen. Zudem setzte sich die Sektion für die Schaffung einer Beratungsstelle für behindertengerechtes Bauen ein und machte auf blindenspezifische Probleme aufmerksam. So habe etwa der Neubau des Bahnhofs Luzern Anlass zu vielen Diskussionen gegeben. Seit dem 1. September 2024 gibt es die Teilzeitstelle eines Interessenvertreters Region Zentralschweiz, der die Anliegen von Blinden und Sehbehinderten im Bereich Barrierefreiheit im öffentlichen Raum einbringt.

«Mitdenken und Mithandeln»

Ab Ende 1990 schrieb sich die Sektion eine neue Ausrichtung auf die Fahne: «vom Dienstleistungsdenken zum Mitdenken und Mithandeln». Unter anderem sollten die Basis sowie Angehörige und Freunde vermehrt einbezogen und vernetzt werden. Von 2009 bis 2015 war Isabella Plüss Präsidentin der Sektion Zentralschweiz. «Ich habe gerne experimentiert», erinnert sie sich. «Ich wollte etwas bewegen, zusammen mit der Basis.»

In jener Zeit war die Schaffung von Gesprächsgruppen in Luzern, Zug und Uri ein wichtiger Meilenstein. «Da konnten sich die Mitglieder in einem geschützten Rahmen frei darüber äussern, was sie beschäftigt. Jede Meinung wurde gehört und wertgeschätzt, ohne zu urteilen», sagt die ehemalige Präsidentin. Auch Tipps und Ideen wurden ausgetauscht. «Das gab Inspiration und Mut zur Selbsthilfe.» Moderiert wurden die Gespräche von dazu ausgebildeten Mitgliedern. Heute gibt es die Gruppen nicht mehr.

Wandergruppe gibt es heute noch

Was noch heute weiterlebt, ist hingegen die in den 2010er-Jahren von Plüss und ihrer Freundin Esther Felber aufgegleiste Wandergruppe. «Sie ist eidgenössisch diplomierte Wanderleiterin und war das erste nicht betroffene Mitglied einer unserer Arbeitsgruppen», sagt Plüss. Rekognoszieren und wandern gehen seither sehende, dafür geschulte Assistenzpersonen gemeinsam mit sehbehinderten oder blinden Menschen in Kleingruppen. Die «gegenseitige Integration» sei wichtig, erklärt Plüss. So organisierte sie beispielsweise auch «Dunkelevents», bei denen Sehende in einem dunklen Zelt einen Eindruck gewinnen konnten, wie sich eine Sehbehinderung anfühlt.

Das Netzwerken war Plüss ein Anliegen. Sie vertiefte den Austausch mit anderen Behindertenorganisationen und organisierte eine jährliche Plattform mit einem Referenten des Behindertenwesens, teils mit über 100 Teilnehmenden. Zudem hat sie das Informationsblatt «Info-Plus» initiiert, das später der Dachverband übernahm. Es erscheint in Grossdruck, in Brailleschrift und in Audioform.

Welche BedĂĽrfnisse hat der Nachwuchs?

Die Sektion Zentralschweiz zählt heute 309 Mitglieder. Finanziert wird die Sektion durch Subventionen des Bundes über den Dachverband Bern, Spenden und Mitgliederbeiträge. Doch es fehlt der aktive Nachwuchs. Einerseits ist das die Folge von erfolgreichen Integrationsbestrebungen. Die aktuelle Präsidentin Rita Annaheim sagt: «Jüngere erzählen, sie benötigen die speziellen Freizeitangebote nicht, weil sie mit ihren nicht sehbehinderten Freunden etwas unternehmen. Das ist schön.» Und Plüss ergänzt: «Heute kann man auch als Einzelperson im Alltag viel bewegen.» So habe beispielsweise die Poststelle in ihrem Wohnort auf ihre Bitte reagiert und anstelle des schwer nutzbaren Touchscreens wieder alte Kreditkartengeräte aufgestellt.

Der aktuelle Vorstand des SBV Sektion Zentralschweiz, hinten (v.l.): Kassier Kurt Bachmann, Beisitzerin Christa Grüter und Beisitzer Felix Notz; vorne (v.l.): Vizepräsidentin Helen Portmann, Präsidentin Rita Annaheim und Aktuarin Mary Trottmann. Bild: zvg

Andererseits vernetzt die Sektion nach wie vor Betroffene miteinander. Manche würden insbesondere durch solche Gespräche neuen Mut fassen. Die Sektion lebt von Freiwilligenarbeit, auch alle Vorstandsmitglieder wirken ehrenamtlich. Und Plüss argumentiert: «Wir müssen aktiv am Thema Inklusion dranbleiben.» Allenfalls müsse man dafür aber neue Formen finden, gar die bestehenden Verbandsstrukturen öffnen, um Neues anzustossen und mehr Menschen anzusprechen. Die aktuelle Präsidentin stimmt hinsichtlich neuer Formen zu, betont aber, es brauche nach wie vor das koordinierte Vorgehen des Verbands, damit die spezifischen Interessen von Blinden und Sehbehinderten auch langfristig und flächendeckend vertreten werden.

Denn es gibt noch viel zu tun, wie Annaheim erklärt. «Vielerorts fehlen die weissen Leitlinien und Handläufe werden nicht entlang der gesamten Treppe gezogen», nennt sie zwei Beispiele. Auch bei der Integration an Arbeitsplätzen gibt es noch Hürden: «Oft fehlen die entsprechenden Hilfsmittel, teilweise werden diese gar nicht oder nur ungern angeschafft.» Dass es bisweilen einen langen Atem braucht, zeigt sich am Beispiel des 1991 eingeweihten Bahnhofs Luzern: Im Untergeschoss des Bahnhofs wurden erst 2023 Leitlinien installiert.

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