Es gibt viele gute Gründe, das Regime in Teheran anzugreifen. Doch im Treibsand des Nahen Ostens genügt militärische Macht allein nicht.
Es führt ein schnurgerader Weg vom 7. Oktober 2023 zum Krieg gegen Iran. Die Massaker der Palästinenser an jüdischen Zivilisten setzten eine unerbittliche Logik in Gang. Die Hamas liess den Geist aus der Flasche, und eine lange Zeit der relativen Mässigung im Nahen Osten fand ein abruptes Ende.
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Jetzt gilt wieder Auge um Auge, Zahn um Zahn. Israel begann gegen die Palästinenser den längsten Krieg seiner Geschichte, erbarmungslos und von dem Willen beseelt, die Hamas ein für alle Mal auszulöschen.
Danach traf es den Hizbullah in Libanon, weil er der Hamas zu Hilfe geeilt war. Jetzt attackiert Israel die Hintermänner von Hamas und Hizbullah, die Mullahs in Teheran. Iran ist die Spinne, die im ganzen Nahen Osten ihr Netz geknüpft hat, im Gazastreifen wie in Libanon, im Irak und in Jemen. Ihr Ziel: die Dominanz in der Region und die Zerstörung Israels.
Die Appelle, die Waffen müssten unverzüglich schweigen, sind so hilflos wie naiv. Das islamistische Regime in Teheran hat nie ein Hehl aus seiner Absicht gemacht, den Judenstaat zu vernichten. Israel schlägt genauso unbarmherzig zurück.
Es ist ein Lehrstück in Realpolitik. Jede Seite geht so weit, wie es ihre Mittel erlauben. Für Europäer ist das eine fremde Welt. Vor allem verstehen sie nicht, dass alle Fronten zusammengehören und einen Kriegsschauplatz bilden.
Die Pogrome am 7. Oktober, die blutigsten ihrer Art seit dem Holocaust, waren der «Ground Zero» für Israel und der Anlass, in einen Feldzug gegen alle seine Feinde zu ziehen. So wie Amerika nach 9/11 den «Krieg gegen den Terror» begann, der den Irak ins Chaos stiess und erst mit dem Abzug aus Afghanistan endete.
Der Vorwurf, Jerusalem habe einen völkerrechtswidrigen Angriff lanciert, geht daher ins Leere. Israel verteidigt sich wie damals Washington, das nun erneut in den nahöstlichen Konflikt hineingezogen werden könnte. Der israelisch-iranische Krieg schwelte schon lange, nur eben auf kleinerer Flamme. Der Zivilisationsbruch der Hamas öffnete dann die Pforten der Hölle.
Wie immer unterschätzte die muslimische Welt auch diesmal ihren Gegner.
Schon auf den ersten Palästinakrieg 1948 hatten sich die Juden besser vorbereitet als die Araber, den Sechstagekrieg entschied Israel mit seiner Luftwaffe für sich. Im Jom-Kippur-Krieg 1973 stand es vor dem Untergang und kämpfte sich dennoch zurück.
Die permanente Bedrohung ist tief ins israelische Gedächtnis eingeschrieben. Militärische, technologische und geheimdienstliche Überlegenheit ist überlebenswichtig.
Die wenigsten Experten hatten Israel zugetraut, das Tunnelsystem im Gazastreifen so effektiv auszuschalten. Die koordinierte Detonation der Hizbullah-Pager war eine Meisterleistung des Mossad. Auch in Iran verfügt Israel über präzise Informationen, um die obersten Generäle zu eliminieren. Sukzessive schaltete die Luftwaffe die iranische Luftverteidigung aus, was ihr jetzt die Lufthoheit sichert.
Im Nahen Osten kann es keine Macht militärisch-taktisch mit Jerusalem aufnehmen. Dennoch hat Israel eine Achillesferse. Ihm fehlt ein strategisches und politisches Konzept. Vor diesem Dilemma steht auch Trump, der einen amerikanischen Angriff auf Iran erwägt.
So fügen die israelischen Kampfflugzeuge den oberirdischen Nuklearanlagen der Mullahs schwerste Schäden zu. Bis jetzt liegen aber keine Hinweise vor, dass unterirdische oder in Kavernen versteckte Uranzentrifugen zerstört wurden.
Zudem hat Teheran Zentrifugen, angereichertes Uran und Produktionsstätten über mehrere Standorte verteilt, von denen wahrscheinlich nicht alle bekannt sind. Es ist daher fraglich, ob Israel selbst mit einer mehrwöchigen Kampagne das Herz des iranischen Atomprogramms tödlich verwunden kann.
Inzwischen attackiert die israelische Luftwaffe auch die Energieversorgung und die Schaltzentralen des Regimes wie Ministerien und die Hauptquartiere von Militär, Polizei und Geheimdiensten. Netanyahu ruft die iranische Bevölkerung zum Aufstand auf. Was will Israel erreichen? Glaubt es wirklich, das iranische Atomprogramm vernichten zu können? Oder strebt es, weil es dieses Ziel nicht erreicht, einen Machtwechsel in Iran an?
In Libanon hatte Israel ein präzises Ziel: Der Hizbullah sollte geschwächt und Libanon stabilisiert werden. Das wurde erreicht, weshalb an der Nordfront inzwischen Ruhe herrscht. Im Kampf mit den Palästinensern sind die Ziele unklar. Die israelische Armee kann den Gazastreifen komplett einnehmen und die Hamas auf den Status einer Guerillatruppe reduzieren.
Das aber bringt keinen Frieden, sondern eine kräftezehrende Besetzung. Überdies verwandeln jüdische Fanatiker mit einem religiös verbrämten, irrwitzigen Siedlungsbau auch das Westjordanland in ein zweites Gaza.
Ähnlich unscharf ist die Strategie im Krieg mit Iran. Angesichts seiner Überlegenheit sollte Israel Teheran einen Waffenstillstand aufzwingen können. Doch dieser wäre nur eine Atempause. Die Islamisten würden erneut zur Vernichtung Israels ansetzen, sobald sie die Zerstörungen behoben und ihre Kräfte gesammelt haben.
Ein Machtwechsel ist unwahrscheinlich; eher solidarisiert sich das Volk im Krieg mit dem Regime.
Nichts ist so gefährlich wie die Obsession, ein für alle Mal mit seinem Gegner aufzuräumen. Die Hamas brachte die Logik der Masslosigkeit in die Region zurück. Auch für Netanyahu muss der Gedanke an den Endsieg verführerisch sein. Seit zwei Dekaden warnt er vor der Theokratie in Teheran und ihrer Bombe. Noch nie war er seinem Ziel so nah, sich diese Bedrohung vom Hals zu schaffen.
Israelische Staatskunst bestand jedoch nie in kompromissloser Machtanwendung allein. In den Kriegen von 1948 bis 1973, von der Gründung des Landes bis zu seiner Konsolidierung, verwandelte man militärische Siege durch Mässigung in politische Lösungen. Damals war die Führung geeint. Heute herrscht in Regierung wie Gesellschaft Zwietracht. Das ist keine gute Voraussetzung für staatsmännische Zurückhaltung.
Der Nahe Osten steht an einem Wendepunkt. In der optimistischen Variante wird der iranische Hegemon gezähmt, und Israel anerkennt, dass Frieden nur möglich ist, wenn alle ihren Platz haben, auch die Palästinenser.
In dieser Weltgegend behalten allerdings meist die Pessimisten recht. Selbst die saudische Monarchie, die wenig für die islamistischen Revolutionäre übrighat, möchte nicht die iranische durch eine israelische Vorherrschaft ersetzen. Noch viel weniger wollen das die Türkei, Russland und China. Sie alle haben kein Interesse an einem israelisch-amerikanischen Kondominium.
Der Sturm ist noch nicht zu Ende. Viel wird davon abhängen, wie sich die USA verhalten. Nur ihre Diplomatie vermag Durchbrüche zu erzielen wie die israelisch-ägyptische Verständigung in Camp David oder den Handschlag Rabins mit Arafat im Garten des Weissen Hauses. Dafür braucht es Geduld und Verhandlungsgeschick. Zwei Tugenden, für die Trump nicht bekannt ist.
Gegenüber dem russischen Aggressor agiert Trump wie ein Zappelphilipp. Schmeicheleien wechseln sich ab mit Drohungen. In der Ukraine steht er bis anhin mit leeren Händen da. Im Treibsand Arabiens verspricht diese Methode noch weniger Erfolg.
Voraussetzung für einen kalten Frieden mit Israel ist ein Atomabkommen, das Iran den Weg zur Bombe wenn auch nicht völlig verbaut, so doch wenigstens massiv erschwert. Dazu scheint Teheran nicht bereit. Das nukleare Potenzial ist seine Lebensversicherung. Das Schicksal der Ukraine, die ihre Atomwaffen freiwillig abgab, stellt eine Warnung dar.
Trumps Drohung, allenfalls würden US-Bomber die Atomfabrik in Fordo mit bunkerbrechenden Projektilen angreifen, schreckt Iran nicht ab.
Zum einen würde das Amerika direkt involvieren, obwohl Trump die Vermeidung von Kriegen zur Richtschnur seiner Aussenpolitik erklärt hat. Zum anderen garantieren auch die Superwaffen keine Zerstörung aller Atomanlagen.
Einen Krieg gegen den «grossen Satan» werden die Mullahs propagandistisch ausschlachten. Armageddon ist die Spezialität religiöser Fanatiker. Obendrein können sie darauf vertrauen, dass auch die US-Luftwaffe keinen Regimewechsel herbeizubomben vermag.
Nur mit Bodentruppen lässt sich eine Staatsführung stürzen. Im Irak haben die USA indes erfahren, dass sie alle Schlachten gewinnen und am Ende doch verlieren können.
Amerika ergeht es wie Israel. Ohne politische Lösungen nutzt militärische Macht wenig. Ob Iran oder Gaza: Im Labyrinth des Nahen Ostens gebiert nackte Gewalt nur neue Gewalt.
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