Mobbing in Berlin: Schüler bedrohen schwulen Lehrer | Tages-Anzeiger


A gay elementary school teacher in Berlin suffers from post-traumatic stress disorder after being relentlessly bullied and threatened by students due to his sexuality, highlighting systemic failures within the school and education authorities.
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AboIslamismus in Berlin –

«Ich werde dich töten»: Schüler bedrohen schwulen Lehrer

Muslimische Schüler beleidigen und bedrohen Oziel Inácio-Stech – weil er homosexuell ist. Die Verantwortlichen schauen weg. Nun fordert der Lehrer Gerechtigkeit.

Kevin Fuchs (Fotos)

Publiziert heute um 05:28 Uhr
Gedemütigt, erniedrigt, alleingelassen: Oziel Inácio-Stech zu Hause in Berlin.Foto: Kevin Fuchs
In Kürze:
  • Ein homosexueller Grundschullehrer erleidet nach massiven Anfeindungen eine posttraumatische Belastungsstörung.
  • Schüler bedrohten den Pädagogen mit einer Pistolenattrappe und riefen diskriminierende Parolen.
  • Die Schulleitung reagierte trotz mehrfacher Dokumentation nicht auf die Vorfälle.
  • Der Lehrer kämpft nun juristisch für seine vollständige Rehabilitierung durch die Behörden.

Als Oziel Inácio-Stech Kaffee einschenken will, zittern plötzlich seine Hände. Sein Oberkörper schüttelt sich so fest, dass er den Kaffeekrug zurück auf den Tisch stellt. Es ist eine körperliche Begleiterscheinung der posttraumatischen Belastungsstörung, unter der er leidet. Sein Arzt hat ihn krankgeschrieben.

Der 43-Jährige leidet unter Panikattacken, kann kaum schlafen, meidet Menschenmengen. «Es geht mir heute schon besser», sagt er zu Hause in seiner Wohnung, auf seinen Gesundheitszustand angesprochen.

Man fragt sich, wie schlecht es ihm zuvor gegangen sein muss. Damals, als er noch unterrichtete und seine Schülerinnen und Schüler ihn mobbten, beleidigten und bedrohten – nachdem er ihnen gesagt hatte, er sei homosexuell.

Inácio-Stech arbeitete an der Carl-Bolle-Grundschule in Moabit, einem zentralen, eher armen Berliner Stadtteil. Dort betreute er Kinder mit besonderem Förderbedarf, meist zwischen sechs und zwölf Jahren, einige auch älter, weil sie Klassen wiederholen mussten. Die grosse Mehrheit der Schülerinnen und Schüler hat einen Migrationshintergrund, die meisten stammen aus muslimischen Ländern.

Als er von seiner Homosexualität erzählt, beginnt der Albtraum

Inácio-Stech lebt mit seinem Partner in Berlin – in einer weltoffenen Stadt eigentlich selbstverständlich. Oder doch nicht? Er erzählt, wie schwer es ihm fiel, seinen Schulklassen von seiner Homosexualität zu berichten. Er ahnte, dass es Ärger geben würde. Er spricht von religiös fanatischen Eltern und einem Schüler, der eine Mitschülerin wegen ihres Lippenstifts beleidigte: «Das ist haram», unrein, sagte er.

Eine Kollegin ermutigte ihn, offen zu sein. Auch die Lehrergewerkschaft rät dazu. «Ich lebe in einer Demokratie», sagt Inácio-Stech. «Ich möchte mich nicht verstecken.» Also entschloss er sich, seinen Schülerinnen und Schülern von seiner Homosexualität zu erzählen. Es war der Beginn seines Albtraums.

Montags begann er den Unterricht oft mit der Frage, was die Schülerinnen und Schüler am Wochenende gemacht hätten. Umgekehrt wollten sie wissen, was er unternommen habe und mit wem. Damals lebte er in der Nähe der Schule, viele Kinder sahen ihn mit seinem Partner. Einmal brachte er ihn zu einem Sommerfest mit. Vor der Klasse sagte er, dass er mit diesem Mann verheiratet sei. Eine zwölfjährige Schülerin reagierte sofort: «Was, Sie sind schwul?», rief sie aus. «Das werde ich in der ganzen Schule rumerzählen.» 

Dann kam die Pandemie, der Präsenzunterricht fiel aus. Doch 2023, als Inácio-Stech wieder unterrichtete, begannen die Demütigungen und Drohungen. Schüler riefen ihm zu, er sei «eine Schande für den Islam» und werde «in der Hölle landen». Einer sagte: «Du bist schwul, ich will keinen Unterricht von dir.» Ein Schüler bedrohte ihn sogar mit einer Pistolenattrappe, die er in die Schule mitnahm. Die Pistole habe echt ausgesehen, sagt Inácio-Stech in seiner Wohnung, sein Körper beginnt wieder zu zittern.

Schulleitung blieb laut Inácio-Stech untätig

Im Mai 2023 warf ein Schüler ein Etui nach ihm und schrie: «Ich werde dich töten.» Eine Kollegin schickte den Schüler aus dem Unterricht und meldete den Vorfall. Der Vater des Schülers, so Inácio-Stech, arbeite für den bekannten Abou-Chaker-Clan, in Berlin bekannt für Erpressung, Nötigung und Körperverletzung. «Es war klar, mit wem man es hier zu tun hatte», sagt er. Doch die Schulleitung blieb untätig, sagt der Lehrer.

Danach verloren die Schülerinnen und Schüler offenbar jedes Mass. Ständig beleidigten sie Inacio-Stech. Er sei «unrein», «ekelhaft», eine «Schande». Als er einen Schüler zur Rede stellte, sagte dieser: «Der Islam ist hier der Chef.»

In seinem Heimatland Brasilien, erzählt Inácio-Stech, würden Schüler für solches Verhalten sofort bestraft. An der Carl-Bolle-Grundschule gab es keine Konsequenzen, obwohl er jeden Vorfall dokumentierte und meldete. Der Lehrer zeigt eine verzweifelte Nachricht im schulinternen Chat: Er habe Gewalt erlebt und brauche Hilfe. Eine Antwort habe er nie erhalten.

Keine Salami an der Weihnachtsfeier

Viele Lehrerinnen und Lehrer unterstützten ihn, doch mit einer Klassenlehrerin geriet er in Konflikt. Sie warf ihm vor, Antidiskriminierungsfilme zu zeigen, statt Mathematik zu unterrichten. Als er zu einer Weihnachtsfeier eine Salami mitbrachte, kritisierte sie ihn: «Sie wissen doch, dass hier viele muslimische Kinder sind. Das können Sie ihnen nicht zumuten.» Inácio-Stech dachte: «Wo bin ich hier eigentlich?»

Im Juni 2024 fragte ein aus Syrien stammender Schüler nach den Stolpersteinen in Berlin, die an NS-Opfer erinnern. Inácio-Stech zeigte zwei Schülern ein Video auf seinem Handy, sie sassen zusammen auf einem Sitzsack. Die Klassenlehrerin beobachtete dies, sagte nichts, meldete den Vorfall aber der Schulleitung. Sie warf ihm «zu grosse Nähe» zu den Schülern vor. Die Schulleitung zitiert den Lehrer. Sechs Lehrerkollegen erklärten schriftlich, die Vorwürfe seien haltlos.

Fordert die Rehabilitierung: Oziel Inácio-Stech.Foto: Kevin Fuchs

Kurz darauf zeigte die Schulleitung ihn wegen angeblicher Fürsorgepflichtverletzung an. Eltern hatten behauptet, er habe Kinder zum Essen oder Trinken gezwungen. Inácio-Stech erklärte, er habe ein Mädchen gebeten, sich wärmer anzuziehen, und einem Schüler geraten, während des Ramadan Wasser zu trinken, weil dieser im Unterricht sehr müde wirkte. Das Verfahren wurde eingestellt.

Oziel Inácio-Stech sieht sich als Opfer, das zum Täter gemacht wird. «Sie haben mich wie einen Kriminellen behandelt», sagt er. Er fordert nun eine vollständige Rehabilitierung durch die Schulleitung. Der Leiter der Schulaufsicht schrieb ihm in einem Brief, der dieser Redaktion vorliegt: Die Vorwürfe, die zur Anzeige geführt hätten, könne er «nicht mehr zweifelsfrei bewerten». Dennoch belehre er Inácio-Stech vorsorglich, er müsse wie alle pädagogischen Fachkräfte einen «professionellen Umgang mit Schülerinnen und Schülern unter Wahrung körperlicher und emotionaler Distanz» einhalten.

Inácio-Stech ist mit dieser Antwort unzufrieden. Der Beamte schreibt in einem zweiten Brief, die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens sei «kein Freispruch». Inácio-Stech bleibt dabei: Die Schulleitung müsse ihn rehabilitieren. «Sonst bleibt immer irgendwas hängen», sagt er im Gespräch. Die Schulleitung wollte sich auf Anfrage dieser Redaktion nicht zu dem Fall äussern.

Die Bildungsministerin krebst zurück

Sein Anwalt schickte auch einen eingeschriebenen Brief an die Bildungsdirektorin Katharina Günther-Wünsch. Darin sprach er von «falschen Tatsachenbehauptungen», die die Schule ungeprüft übernommen habe. Eine Antwort blieb aus.

Nach einem ausführlichen Bericht der «Süddeutschen Zeitung» wurde auch die Politik auf den Fall aufmerksam. Lokale Abgeordnete forderten Erklärungen von der Bildungsdirektorin. Günther-Wünsch erklärte zunächst, sie habe vom Brief des Anwalts erst nach dem Zeitungsartikel erfahren – fast ein halbes Jahr nachdem das Schreiben bei ihr eingegangen war. Wenige Tage später korrigierte sie sich und räumte ein, den Brief doch schon im vergangenen Dezember gesehen zu haben. Warum sie nicht reagierte, bleibt unklar.

Katharina Günther-Wünsch (CDU): Wer ist die Frau, die in der Berliner Bildungspolitik jetzt die Weichen stellt?Foto: Maurizio Gambarini (Funke Foto Services)

Diese Redaktion fragte bei der Bildungsdirektion nach dem Verhalten der Schulleitung und Günther-Wünschs Umgang mit dem Fall. Ein Sprecher teilte mit, aus «persönlichkeitsrechtlichen Gründen» keine Stellung zu «Personaleinzelangelegenheiten» zu nehmen.

Am Montag kündigte Günther-Wünsch an, eine zentrale Stelle für Mobbingfälle einzurichten. Wie diese Redaktion weiss, hat sie Inácio-Stech auch ein persönliches Treffen angeboten. Er ist dazu aber noch nicht bereit.

Das heile Deutschland-Bild ist zerstört

Der Lehrer erinnert sich, wie er als Kind Deutschland für ein perfektes Land hielt, in dem alles reibungslos funktioniere. Heute zweifelt er daran. Er ärgert sich darüber, dass Günther-Wünsch mit Berlins Bürgermeister Kai Wegner liiert ist, das sei doch ein offensichtlicher Interessenkonflikt.

Inácio-Stech steht wohl ein langer juristischer Kampf bevor. An die Carl-Bolle-Grundschule will er nicht zurückkehren. Die Belastung sei zu gross. Er denkt über einen Auslandsaufenthalt nach und erzählt, dass ihm das Malen Kraft gibt. Allzu weit in die Zukunft wagt er nicht zu schauen. «Zuerst», sagt er, «muss ich wieder gesund werden.»

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