Stand: 27.05.2025, 11:06 Uhr
Von: Marcel Sowa
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Der Fall eines Rennradfahrers, der einen Autofahrer wegen Nötigung anzeigte, weil dieser ihm zwischen Gschwend und Bernau am Chiemsee dicht auffuhr und ihn sekundenlang anhupte, entfachte viele Diskussionen. Auch der Verkehrspsychologe René Limberger beobachtet eine Zunahme aggressiven Verhaltens im Verkehr. In seinen Kursen für die Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) zeigt er, mit welchen Tricks wieder mehr Empathie, Rücksichtnahme und Respekt möglich sind.
Seeon-Seebruck/Bernau am Chiemsee - Noch keine neuen Hinweise auf den unbekannten Autofahrer, der von einem Rennradfahrer wegen Nötigung angezeigt wurde, hat die Polizeiinspektion Prien am Chiemsee erhalten. Dies teilt eine Sprecherin auf Nachfrage mit. Der Fall hatte im Internet für zahlreiche Diskussionen gesorgt und auch unter Fahrschulen zeigte sich der Ärger über sture Radfahrer, dreiste Autofahrer und ganz viel Egoismus. Eine sinkende Hemmschwelle bestätigt auch der Verkehrspsychologe René Limberger. „Ich beobachte eine zunehmende Enthemmung im Straßenverkehr, insbesondere in Form von Nötigung wie aggressivem Hupen, Beleidigungen oder Drängeln.“
Der Experte analysiert nach eigenen Angaben Verhaltensmuster im Straßenverkehr und führt unter anderem Vorbereitungskurse für die Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) durch. Das Ziel in seiner Praxis in Seeon-Seebruck: Auffällig gewordenen Fahrern helfen, ihr Verhalten zu reflektieren, zu verändern und damit zu sorgen, dass sie langfristig sicher und verantwortungsvoll am Straßenverkehr teilnehmen. „Diese Verhaltensweisen treten häufig in stressreichen Situationen auf“, schildert er.
Was ist eine MPU und wann muss diese absolviert werden?Als „fester Bestandteil der Verkehrspolitik und ein wichtiges Instrument zur Beurteilung der Kraftfahreignung“ bezeichnet das Bundesministerium für Verkehr die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU). Sie untersucht die Fahreignung der Verkehrsteilnehmer, die (wiederholt) auffallen, weil sie Verkehrsregeln missachten und damit andere gefährden. Weiter heißt es: „Die Anlässe für die Anordnung einer MPU sind rechtlich genau bestimmt. Hierbei ist maßgebliche Orientierung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.“ Wo zum Beispiel ein Facharztgutachten ausreiche, kommt eine MPU nicht in Betracht. Vorgesehen ist sie zum Beispiel, wenn:- Anzeichen für Alkohol- oder Cannabismissbrauch vorliegen.- im Verkehr wiederholt Zuwiderhandlungen unter Alkohol- und Cannabiseinfluss begangen wurden.- ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde.- bestimmte Eignungszweifel im Hinblick auf die Einnahme von anderen Drogen als Cannabis vorliegen.- eine erhebliche Straftat oder mehrere Straftaten begangen wurden, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder der Kraftfahreignung (etwa bei Anhaltspunkten für ein hohes Aggressionspotential) stehen.- die Fahrerlaubnis wiederholt entzogen worden ist.Die Anonymität im Straßenverkehr scheint dabei eine zentrale Rolle zu spielen, wie er sagt. „Sie senkt die Hemmschwelle für aggressives Verhalten, da unmittelbare soziale Konsequenzen oft ausbleiben.“ Die Konflikte zwischen Auto- und Radfahrern seien sicherlich vielschichtig: Einerseits fühlten sich viele Autofahrer in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, wenn Radfahrer als „Hindernis“ wahrgenommen werden. Andererseits empfänden Radfahrer oft eine reale Gefährdung durch Autos.
Mehr zum ThemaEin Toter und mehrere Schwerverletzte: Schlimme Unfallwoche im BGL - Warum kracht es so häufig?Limberger verweist auf die sogenannte Attributionstheorie, die dabei helfe, dieses Spannungsfeld zu erklären: „Menschen neigen dazu, das Verhalten anderer negativ zu bewerten („Der fährt rücksichtslos“), während sie das eigene Verhalten durch äußere Umstände rechtfertigen („Ich bin gestresst“). Diese kognitive Verzerrung kann zu Missverständnissen und Eskalationen führen.“
Auch wenn es die polizeilichen Statistiken nur bedingt wiedergeben: Limberger stellt durchaus eine Zunahme aggressiven Verhaltens im Straßenverkehr fest. „Ursachen sind unter anderem steigender Alltagsstress, Zeitdruck und Ablenkung durch digitale Geräte. Diese Faktoren senken die Frustrationstoleranz und erhöhen das Risiko für impulsive Reaktionen.“
Zahlen der PolizeiWie das Polizeipräsidium Oberbayern Süd für seinen Zuständigkeitsbereich (Neun Landkreise im südlichen Oberbayern und die kreisfreie Stadt Rosenheim) feststellt, ist seit vier Jahren ein Rückgang bei den Aggressionsdelikten im Straßenverkehr zu verzeichnen. Waren es 2021 noch insgesamt 5172 Delikte, sank die Zahl auf zuletzt 4516 (2024).Einen Anstieg gab es bei den Nötigungen im Straßenverkehr: von 662 (2023) auf 722 (2024). Sowohl bei den Gefährdungen im Straßenverkehr (von 385 auf 319) als auch den Beleidigungen (275 auf 58) wurde ein Rückgang verzeichnet. In etwa gleich geblieben ist die Anzahl der gefährlichen Eingriffe in den Straßenverkehr: 2023 waren es 436 und 2024 waren es 429. Niedrigere Zahlen wurden auch bei den Körperverletzungen - von 57 (2023) auf 13 (2024) - und den Bedrohungen - von 29 (2023) auf 7 (2024) - registriert.Der Psychologe weiß genau, welch zentrale Rolle Emotionen im Straßenverkehr spielen und wie stark Stress, Angst oder Frustrationen das Verhalten beeinflussen. „In kritischen Situationen reagieren Menschen oft impulsiv – insbesondere, wenn sie sich bedroht oder ungerecht behandelt fühlen. Auch hier wirkt die Attributionstheorie: Verhalten anderer wird schnell als persönlich motiviert interpretiert, obwohl es meist nichts mit einem selbst zu tun hat. Diese Fehlwahrnehmung kann Konflikte zusätzlich verschärfen“, beschreibt Limberger.
Der Experte verrät, wie er den Menschen versucht zu helfen, „wieder handlungsfähig und selbstbestimmt zu werden - also nicht zum ,Opfer der Umstände´ zu werden, sondern aktiv Einfluss auf das eigene Verhalten zu nehmen“. Viele aggressive Reaktionen würden aus einem Gefühl des Kontrollverlustes entstehen. „Hier setze ich an“.
Menschen, die glaube, dass sie ihr Verhalten auch in stressigen Situationen steuern können, zeigen deutlich weniger Aggression.
Limberger arbeitet mit Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie, insbesondere mit dem Konzept der Selbstwirksamkeit. „Menschen, die glauben, dass sie ihr Verhalten auch in stressigen Situationen steuern können, zeigen deutlich weniger Aggression. Deshalb vermittle ich Techniken, die die Selbstregulation stärken.“
Genauer gesagt bedeutet diese kognitive Umstrukturierung: Situationen bewusst neu bewerten und annehmen, dass andere Fahrer nicht aus Bosheit handeln, sondern vielleicht selbst unter Druck stehen. Oder die Selbstinstruktion: Innere, beruhigende Selbstgespräche („Ich bleibe ruhig, ich habe die Kontrolle“) helfen, emotionale Eskalation zu vermeiden. „Atem- und Achtsamkeitstechniken fördern die Präsenz im Moment und verhindern impulsives Verhalten“, erklärt der Verkehrspsychologe weiter.
Das große Ziel: die eigene Rolle im Verkehr nicht als passiv oder ausgeliefert zu erleben, sondern als aktiv gestaltend. „Das reduziert den Stress und fördert ein respektvolles Miteinander.“
Für ihn ist klar: Ein ruhiges und respektvolles Miteinander im Straßenverkehr beginnt mit Empathie und Rücksichtnahme. „Ich empfehle, sich bewusst in die Lage anderer Verkehrsteilnehmer zu versetzen und den eigenen Stress aktiv zu managen. Letztlich haben alle das gleiche Ziel: sicher und unversehrt anzukommen. Wer sich dessen bewusst ist, fährt entspannter – und trägt zu einem besseren Klima auf unseren Straßen bei“, meint Limberger. (ms)
Mehr zum Thema„Es ist wie eine Sucht“: Georg Fendt (86) aus Bischofswiesen hat 3100 Mal den Untersberg umrundetIf you often open multiple tabs and struggle to keep track of them, Tabs Reminder is the solution you need. Tabs Reminder lets you set reminders for tabs so you can close them and get notified about them later. Never lose track of important tabs again with Tabs Reminder!
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