Die Regierung will die Mehrwertsteuer für Speisen in Restaurants Anfang nächsten Jahres dauerhaft senken. Während Gastwirte die Regierung loben, kritisieren Ökonomen die Massnahme als Klientelpolitik. Die Kunden werden kaum davon profitieren.
Ein Cordon bleu mit Pommes frites und Salat für 26 Euro, eine Kugel Eis für 2 Euro und ein Stückchen Torte für 4 Euro 90 – die Preise, die derzeit in deutschen Restaurants und Cafés für Speisen aufgerufen werden, machen das Auswärtsessen zum teuren Vergnügen. In den vergangenen fünf Jahren sind die Preise für den «Verzehr einer Hauptspeise», wie es in der offiziellen Statistik heisst, um fast 35 Prozent gestiegen. Das ist deutlich mehr als die knapp 22 Prozent, um die sich die Lebenshaltung in dieser Zeit insgesamt verteuert hat.
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Eine vierköpfige Familie kommt beim Besuch eines Restaurants schnell auf eine Rechnung von 150 Euro und mehr. Mit dem Betrag lässt sich ein Einkaufswagen im Supermarkt mit den Lebensmitteln für eine ganze Woche füllen. Für viele Deutsche ist der Restaurantbesuch daher zu einem Luxus geworden, den sie sich immer seltener leisten. Das spiegelt sich in den Umsätzen der Gaststätten wider, die preisbereinigt seit Jahren schrumpfen. Im ersten Quartal dieses Jahres lagen sie um mehr als 18 Prozent unter dem Niveau vor Ausbruch der Corona-Pandemie.
Die Bundesregierung will das ändern. In ihrem Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD darauf geeinigt, den Mehrwertsteuersatz für Speisen, die in der Gastronomie verzehrt werden, ab Anfang nächsten Jahres dauerhaft auf 7 Prozent zu senken. Derzeit beträgt der Satz 19 Prozent. Setzen die Koalitionsparteien ihre Ankündigung um, werden Speisen vor Ort mit demselben Satz besteuert wie seit langem schon Speisen zum Mitnehmen und angelieferte Speisen, für die ein Steuersatz von 7 Prozent gilt.
Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga), begrüsst die Absicht der Bundesregierung. «Die Absenkung des Steuersatzes für Speisen, die in Gaststätten verzehrt werden, beseitigt die steuerliche Schieflage zulasten der Restaurants», sagt sie.
Aber werden auch die Kunden der Gastwirte von der Steuersenkung profitieren? Die Erfahrungen der vergangenen Jahre lassen daran zweifeln.
Als die Bundesregierung in der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 den ersten Lockdown beschloss und daraufhin die Gäste in den Restaurants ausblieben, senkte sie im Juli 2020 den Mehrwertsteuersatz für Speisen von 19 Prozent auf 5 Prozent. Von der Kostenentlastung reichten die Gastrobetriebe jedoch kaum etwas an ihre Kunden weiter. Der Preisindex für Hauptspeisen in Gastrobetrieben sank von Juni bis Juli 2020 nur um knapp 1,3 Prozent. In den folgenden Monaten legte er wieder zu und erreichte bereits im Januar 2021 das Niveau, auf dem er vor der Steuersenkung gelegen hatte.
Statt die Steuerentlastung durch Preissenkungen an die Kunden weiterzugeben, nutzten die Gastwirte sie, um ihre Umsatzausfälle aufzufangen. Ein solches Verhalten sei durchaus im Sinne der Politik gewesen, sagt Ralph Solveen, Volkswirt bei der Commerzbank: «Die Steuersenkung sollte nicht die Kunden entlasten, sondern den Gaststätten das Überleben in der Pandemie sichern.»
Als die Bundesregierung nach dem Ende der Pandemie den Steuersatz für Speisen in der Gastronomie Anfang 2024 wieder auf 19 Prozent anhob, reichten viele Restaurants den Kostenschub prompt an ihre Kunden weiter und erhöhten die Preise. Der Preisindex für «Hauptspeisen zum Verzehr» sprang von Dezember 2023 bis Januar 2024 um knapp 3 Prozent nach oben. In den folgenden Monaten ging es mit den Preisen weiter rasant bergauf. Anfang dieses Jahres mussten Restaurantbesucher für eine Hauptspeise über 8 Prozent mehr auf den Tisch legen als vor der Steuererhöhung.
Nach Ansicht der Dehoga-Chefin Hartges hatten die Betriebe kaum eine andere Wahl. «Die Gastwirte müssen ihre Preise mit Blick auf die Kostenentwicklung kalkulieren», sagt sie. Und die kannte in den vergangenen Jahren nur eine Richtung: nach oben. So legten die Kosten für das Personal in den vergangenen fünf Jahren um 42,9 Prozent zu. Diese machen in Restaurants zwischen 30 und 40 Prozent des Umsatzes aus. Strom und Gas verteuerten sich in dieser Zeit um 44 Prozent. Für den Einkauf von Nahrungsmitteln müssen die Restaurants gegenwärtig 37,2 Prozent mehr zahlen als vor fünf Jahren, für alkoholfreie Getränke sind es 35,1 Prozent mehr.
Die Belastungen spüren auch die grossen Ketten in der Systemgastronomie. Höhere Kosten für Rohwaren, teurere Energie, explodierende Sozialabgaben – überall sei die Gastronomiebranche in den vergangenen Jahren von «massiven Kostensteigerungen betroffen gewesen», sagt ein Sprecher der Fast-Food-Kette McDonald’s. Dies treffe die Betriebe in einer Zeit, in der viele Restaurants die Auswirkungen der Corona-Pandemie noch nicht überwunden hätten.
Der nächste Kostenschub steht bereits vor der Tür. Bis Ende Juni muss die Mindestlohnkommission in Deutschland beschliessen, wie hoch der gesetzliche Mindestlohn ab Anfang 2026 sein soll. Vor allem die Sozialdemokraten drängen darauf, ihn zügig auf 15 Euro je Stunde anzuheben. Derzeit beträgt er 12 Euro 82. Gäbe die unabhängige Mindestlohnkommission dem Drängen der SPD nach und erhöhte sie den Mindestlohn auf 15 Euro, wäre dies ein Plus von 17 Prozent.
Bereits in den vergangenen Jahren ist der Mindestlohn nicht zuletzt als Folge politischer Eingriffe rasant gestiegen. Derzeit liegt er um 37,1 Prozent über dem Niveau von Anfang 2020. Das hat Folgen für das gesamte Tarifgefüge. «Wenn Hilfskräfte einen höheren Mindestlohn bekommen, fordern die Gewerkschaften auch für Fachkräfte wie Köche und Restaurantfachleute höhere Löhne, um den Lohnabstand zu wahren», sagt Hartges. Dadurch steigen die Personalkosten auf breiter Front.
Vor diesem Hintergrund dürften viele Gastwirte die Mehrwertsteuersenkung Anfang nächsten Jahres kaum an ihre Kunden weiterreichen. «Wir können es uns mit Blick auf die allgemeinen Kostensteigerungen gar nicht leisten, die Preise für unsere Speisen zu senken», sagt Michael Wolff, Inhaber des «Pungshauses», eines Restaurants mit gehobener Küche in Hilden, einer Stadt nahe Düsseldorf. Die geplante Mehrwertsteuersenkung für Speisen gleiche lediglich die Kostenschübe aus, die an anderer Stelle auf die Betriebe zukämen. «Wer weiss schon, wie stark die Löhne demnächst noch steigen werden», sagt Wolff.
Auch McDonald’s verweist darauf, dass die Gewinnspannen in der Branche seit Jahren unter Druck sind. Weil sich die Bürger wegen der gestiegenen Lebenshaltungskosten mit Restaurantbesuchen zurückhielten, könnten die Unternehmer in der Gastronomiebranche die Kostensteigerungen nicht komplett an die Gäste weitergeben, sagt der Sprecher der Fast-Food-Kette.
Die Bereitschaft in der Systemgastronomie, die niedrigere Mehrwertsteuer in Preisnachlässe zu verwandeln, dürfte daher gering sein. Grundsätzlich können die McDonald’s-Filialen, die im Franchise-System betrieben werden, die Preise für ihre Speisen eigenständig festlegen. Allerdings erhalten sie von der Zentrale in München unverbindliche Preisempfehlungen.
Die Lobbyorganisation Foodwatch kritisiert, die geplante Steuersenkung sei für McDonald’s ein Geschenk des Staates im Wert von 140 Millionen Euro. Es handele sich um eine «absurde Kumpanei mit der Burger-Lobby» statt um eine echte Entlastung für Verbraucher.
Auch Ökonomen sehen die Steuerentlastung für die Gastwirte kritisch. Lars Feld, der frühere Chef der Wirtschaftsweisen, kritisiert sie als «reine Klientelpolitik», die man besser lassen sollte. Insgesamt dürfte sich die Entlastung der Gaststätten durch die Mehrwertsteuersenkung auf rund 3,5 Milliarden Euro pro Jahr belaufen. Über die Legislaturperiode gerechnet sind das 14 Milliarden Euro, die in den Kassen von Bund und Ländern, die sich die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer teilen, fehlen werden.
Statt eine einzelne Branche wie das Gaststättengewerbe zu begünstigen, wäre es besser, die Regierung senkte die Steuerlast gleichmässig für alle Bürger und Unternehmen, sagt der Commerzbank-Volkswirt Solveen. Das verbesserte die Investitions- und die Beschäftigungsbereitschaft in der Breite statt nur im Gastgewerbe.
Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie brach die Beschäftigung im Gastgewerbe kräftig ein. Erst im Verlauf des Jahres 2021 erholte sie sich wieder. Allerdings setzen die Gastwirte seither vor allem auf geringfügig Beschäftigte. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt hingegen mit derzeit etwas mehr als 800 000 deutlich unter dem Niveau, das sich bei Fortschreibung des Trends im Zeitraum 2015 bis 2019 ergeben hätte.
Problematisch ist zudem, dass das Umsatzsteuerrecht selbst für Experten kaum mehr durchschaubar ist. So wird das Essen zum Mitnehmen, im Supermarkt oder bei der Anlieferung mit 7 Prozent besteuert. In der Gastronomie werden, wenn die Gaststätte Sitzgelegenheiten zur Verfügung stellt, 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig. Sind nur Stehtische oder gar keine Möbel vorhanden, gilt der ermässigte Steuersatz von 7 Prozent. «Da blickt keiner mehr durch, die Umsatzbesteuerung gerade von Lebensmitteln und in der Gastronomie muss spürbar entrümpelt werden», sagt der Jurist Ralf Jahn, ehemaliger Hauptgeschäftsführer der IHK Würzburg-Schweinfurt.
Ökonomisch zielführend wäre ein niedriger, einheitlicher Mehrwertsteuersatz für alle Umsätze. Verzerrungen der relativen Preise, die mit unterschiedlichen Steuersätzen einhergehen, gehörten dann der Vergangenheit an. Ebenso wie die Versuchungen der Politik, Lobbyinteressen durch spezifische Steuernachlässe zu bedienen.
Im Koalitionsvertrag von Union und SPD ist von einer derartigen grundlegenden Reform der Umsatzsteuer jedoch nichts zu lesen. Die Regierung habe damit «eine mutige Reform verpasst», kritisiert Jahn.
Auch wenn der Preisschub in den Gaststätten viele Deutsche ärgert: Günstiger als in der Schweiz speisen sie weiterhin. In der Eidgenossenschaft kostet der Restaurantbesuch 52 Prozent mehr als in Deutschland, wie das Statistische Bundesamt jüngst ermittelt hat. Wer auswärts essen möchte, ohne dabei allzu viel Geld auszugeben, muss weiter reisen. Nach Albanien, Nordmazedonien oder Bulgarien zum Beispiel. Dort müssen Gäste in Restaurants fürs Essen nur halb so viel auf den Tisch legen wie in Deutschland. Das Cordon bleu mit Pommes und Salat könnte da gleich doppelt so gut schmecken.
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